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Pathosallergiker gegen Sinnsucher

Zu mehr als einer Bibelstunde mit Brecht lädt das Literaturforum im Brechthaus diese Woche. Was Gott billig war, sollte Karl Marx nur recht sein. Fleißig räuberte Brecht die religiöse Rhetorik und nutzte die Bibel zum poetischen Spiel

„Sie werden lachen: die Bibel!“ – antwortet Brecht im Oktober 1928 einer literarischen „Dame“ auf die Frage nach seinem stärksten Lektüreeindruck. Dass der junge Rebell vor dem Buch der Bücher die Knie beugt, überrascht: War Brecht nicht Atheist?

Eine Woche lang fragt das Literaturforum: Woran glaubte Brecht? 1927 erscheint im Berliner Propyläen-Verlag Brechts Hauspostille. Mit der Urheberschaft in geistigen Dingen hat Brecht es nie so genau genommen. Vierhundert Jahre zuvor hatte Martin Luther schon einmal eine Hauspostille vorgelegt. Unübersehbar sind die Anklänge, auch Brecht gliedert seine Postille in Lektionen: auf Bittgänge und Exerzitien folgen Psalme. Luthers Benimmfibel übersetzt Brecht in einen Gebrauchsatlas für Städtebewohner. Nicht mehr sittsame, protestantische Schafe bevölkern seine Hauspostille, sondern das Bestiarium der modernen Welt: verführte Mädchen, tote Soldaten, Kindesmörderinnen, Seeräuber, Huren und Asphaltabenteurer.

Fleißig hat Brecht dabei den rhetorischen Fundus des Religiösen geräubert. Die Bibel war für ihn poetisches Spielmaterial, wie auch die Choräle und liturgischen Gesänge der alten Zeit. Die fromme Botschaft interessierte ihn weit weniger. Erlösung erhoffte Brecht sich von einer ganz anderen Kirche.

Karl Marx war sein Kirchenvater, der Kommunismus sein Paradiesgarten. In seinen frühen Stücken zog der „Nachttrommler“ den Muff unter den Talaren hervor. Weihrauch vermischte er mit dem pestgeschwängerten Atem der bürgerlichen Welt. Wissenschaftsfromm wie jeder historische Materialist hielt er die Geschichte für lesbar. Religion störte da nur: Opium des Volkes. (Was führende Kulturkommissare der DDR übrigens nicht hindern sollte, dem süßen Rausch sich hinzugeben. Last exit Dialektik.)

Auf Abendpodien kann man von heute an im Literaturforum Brechts säkularen Übertragungen der alten Heilsgeschichten lauschen. Die Podien widmen sich Brechts Poetik und Theaterästhetik, seinem Weg von der nihilistischen zur marxistischen Religionskritik, aber auch Fragen zur „Profanisierung des Religiösen“ und „Sakralisierung des Politischen“. Kontrastiert wird Brecht mit seinem linken Verwandten Walter Benjamin und mit Pierre Bourdieu.

Gesang und Klavier – „Mein Gott schon wieder Brecht“ – beschließen die Brecht-Tage am Freitag. Womit ein für allemal das Märchen ein Ende hat, dass der Osten „religiös unmusikalisch“ gewesen sei. Mit Friedrich Dieckmann und Sebastian Kleinschmidt ist die bürgerliche Intelligenzija des Ostens angemessen vertreten. Ferner sind eingeladen die Veteranin des evangelischen Kirchentags Dorothee Sölle und der Argument-Cheftheoretiker Wolfgang Fritz Haug, der jahrzehntelang seinen Studenten an der Freien Universität rote Messen hielt.

Ist „Brechts Glaube“ noch von Interesse? Sicherlich haben Pathosprojekte es nach dem Schiffbruch der großen Ideologien schwer. Anderseits ist das Unbehagen an der ironischen Orthodoxie unüberhörbar. Noch ist nicht abzusehen, ob am Ende die Pathosallergiker oder die neuen Sinnsucher die Nase vorn haben werden. Brecht jedenfalls wäre auf beides vorbereitet. In sein Exemplar der Bibel hatte er das Foto eines Buddha und eines Rennwagens eingeklebt.

STEPHAN SCHLAK

Montag bis Freitag, um 20 Uhr, Literaturforum im Brecht-Haus, Chausseestraße 125, Mitte

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