: Juanito der Wahnsinnige
Nach Johann Mühleggs überlegenem Sieg im 30-Kilometer-Langlauf hat sich Spaniens winterliche Medaillenausbeute um ein ganzes Drittel erhöht – und das Land hat endgültig einen neuen Helden
aus Soldier Hollow MATTI LIESKE
Mit Juana la Loca hatten es die Spanier schon vor langer Zeit zu tun, jetzt sind sie auch noch mit Juanito el Loco gesegnet. Fünfhundert Jahre nachdem ihre Königin Johanna die Wahnsinnige abdanken musste, weil sie, so die Legende, vor lauter Eifersucht auf ihren Gatten Philipp den Schönen den Verstand verlor, regiert jetzt der Weihwasser schlürfende Langlaufbayer Johann Mühlegg – zumindest, was den Wintersport betrifft. Mit raumgreifenden Schritten eilte der 31-Jährige, der 1998 die Nationalität wechselte, am Samstag über 30 Kilometer Freistil vom Massenstart weg der gesamten restlichen Weltelite davon. Er gewann mit dem riesigen Vorsprung von 2:02,1 Minuten vor den Österreichern Christian Hoffmann und Michail Botwinow die dritte Medaille für Spanien überhaupt bei Winterspielen und die erste, die nicht von der Familie Ochoa alpin eingefahren wurde.
So beherzt, wie Juanito bei seinem Olympiasieg in Soldier Hollow durch den Schnee stapfte, so energisch bekannte er sich anschließend auch zu seinem Spaniertum, nicht jedoch ohne zuerst den eigenen Beitrag zu würdigen: „Das ist ein persönlicher Triumph und ein Triumph für Spanien.“ Seinen Sieg im Gesamtweltcup vor zwei Jahren hatte er König Juan Carlos gewidmet, nach seinem Weltmeisterschaftsitel über 50 Kilometer 2001 in Lahti war er von diesem sogar empfangen worden. Das wird jetzt wohl wieder so sein. Selbst wenn er wider Erwarten keine weitere Medaille bei diesen Spielen holen sollte: Juanito ist nun ein spanischer Held.
Und gar so loco wie früher ist er auch nicht mehr. In Spanien scheint der zur Wunderlichkeit neigende Mühlegg sowohl physisch als auch mental sein Gleichgewicht gefunden zu haben. Der Grund dafür ist einfach: Man lässt ihn in Ruhe und beschränkt sich darauf, sich in seinen Erfolgen zu sonnen. In Deutschland hatte sich Mühlegg von Trainern verhext gefühlt, von Mannschaftskollegen verflucht, hatte sich abgesondert, und war deshalb ständig mit dem Verband aneinander gerasselt. In Spanien, so erzählt er zufrieden, „habe ich meinen eigenen technischen Stab und kann mich selbst organisieren“. Von einer Rückkehr in den Schoß des deutschen Verbandes ist momentan keine Rede mehr. „Ich bin glücklich“, sagt der Grainauer Hotelbesitzer, und meint: als Spanier. Obwohl die Personen, die er bewundert, keineswegs Cervantes, Goya oder etwa Juan Carlos sind, sondern George Bush und Edmund Stoiber, für den er sogar in den Wahlkampf ziehen will. Schließlich, sagt er, „habe ich einen zweiten Lebensmittelpunkt“, in Grainau nämlich – und die SPD will den Langläufern ja bekanntlich ihre Hotels wegnehmen.
Das Rennen von Soldier Hollow war eine seltsame Angelegenheit. Ein Spanier vorn und dazu zwei Läufer aus Österreich, das bisher in der gesamten Langlaufgeschichte der Winterspiele auch erst zwei Medaillen gewonnen hatte – manch ein Skandinavier hätte ein derartiges Szenario vorher für so wahrscheinlich gehalten wie einen Senegalesen, der die Abfahrt gewinnt. Das Resultat bewies jedoch nur, wie wichtig eine intensive Vorbereitung auch im Langlauf ist. Während die Skandinavier die Proberennen an gleicher Stelle im vergangenen Jahr mit Blick auf die WM gemieden hatten, waren Mühlegg, Hoffmann und Botwinow dort gewesen. Mühlegg hatte beide Rennen gewonnen, die Österreicher hatten je einen zweiten Platz belegt. Während Favoriten wie der Schwede Per Elofsson am Samstag völlig ausgepumpt aufgeben mussten, zahlte sich für das Siegertrio die Kenntnis der harten und tückischen Strecke sowie der Auswirkungen der dünnen Luft in einer Höhe von 1.600 Metern aus.
„Das hat mir sehr geholfen“, meinte Mühlegg, der den Konkurrenten nicht nur im Stile eines Lance Armstrong zügig die Minuten abnahm, sondern sich auch so gründlich vorbereitet hatte, wie es der Amerikaner bei der Tour de France zu tun pflegt. Mehrfach war er in Soldier Hollow gewesen, um zu trainieren, lange vorher ist er angereist. Die Taktik für das Rennen klang simpel: „In der ersten Runde drücken, drücken, drücken, in der zweiten auch noch, dann mal sehen.“ Bei Olympia dürfe man nicht abwarten, hat der Veteran, der seine vierten Spiele bestreitet, in langer Karriere gelernt. Nach zwei Runden war der Vorsprung schon so groß, dass er nur noch sein Rennen laufen und nicht mehr auf die Gegner achten musste. „Ich habe einen Turbodieselmotor“, verriet Mühlegg, „ich kann Tempo verlieren, aber ich verliere es nie vollständig.“ Weniger technisch analysierte der Thüringer René Sommerfeldt (17.) die Überlegenheit des Exlandsmanns: „Er hat’s halt drauf, vom Körper her eine Wildsau.“
Diesmal konnte Johann Mühlegg den Triumph sogar gebührend genießen und sich von den spanischen Fans – bis vor kurzem beim Langlauf so unvorstellbar wie norwegische Toreros beim Stierkampf – gebührend feiern lassen. Bei seinem WM-Sieg in Lahti war es so kalt, dass er als wandelnder Eiszapfen ins Ziel kam und, als er die Medaille küsste, seine Lippen daran festfroren. Diesmal war rundum eitel Sonnenschein, nicht nur wettermäßig. „Die Strecke bergig, gut geschnitten, ein schönes Stadion. Alles war perfekt.“ Auf einen ähnlichen Ausgang des Rennens hofft er auch für den letzten Samstag der Spiele, wenn die 50 Kilometer anstehen. Zunächst kündigte er aber erst mal, ganz spanischer Lebemann, eine grande fiesta an. Und wie es sich anhörte, hat es dort nicht nur Weihwasser zu trinken gegeben.
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