: Die Straßen von Bremen
■ Elisabeth R. ist Taxifahrerin aus Überzeugung: Seit zehn Jahren fährt sie mit wenigen Ausnahmen nachts – und gehört damit einer kleinen Minderheit an
Am liebsten würde Elisabeth R. sich einen Zettel neben das Lenkrad kleben, auf dem steht: „Nein, ich habe keine Angst.“ Und: „Nein, mir ist noch nichts passiert.“ Denn das fragen sie ihre nächtlichen Fahrgäste am häufigsten. Nachts sind Frauen hinterm Taxi-Steuer eine Seltenheit.
Vor knapp zehn Jahren hat die Anfang-50-Jährige ihren Taxi-schein gemacht und fährt dann, wenn andere schlafen. Nur 1996 nicht: „In dem Jahr gab es viele Überfälle. Da bin ich erstmal in die Tagschicht gewechselt“, erzählt Elisabeth. „Aber tags fahre ich nicht so gerne. Die Straßen sind zu voll, das ist ziemlich stressig.“ Außerdem seien die Fahrgäste nachts meistens „besser drauf“.
So auch heute nacht: Gegen viertel nach zehn steigen in der Neustadt zwei Männer in den Wagen. Schon als die beiden aus dem Haus kommen, sieht die routinierte Fahrerin: „Betrunkene Fahrgäste.“ Und tatsächlich: Die Schiebetür geht auf, beide Männer sind nicht mehr ganz sicher auf den Beinen, der eine klemmt dem anderen erst mal aus Versehen die Finger mit der Schiebetür ein. Sie hätten beim Renovieren wohl ein bisschen viel getrunken. Jetzt wollen sie am Bahnhof noch ein „Absackerbierchen“ nehmen. Während der Fahrt redet der Fingerklemmer ununterbrochen. Am Bahnhof klettern die beiden umständlich, aber friedlich aus dem Wagen.
Während Elisabth einen Taxen-stand in Walle ansteuert, erzählt sie von betrunkenen Männern, die nicht so friedlich waren: Irgendwo außerhalb von Bremen hätten die davon angefangen, dass sie „mal was zu ficken“ bräuchten. Die Bemerkungen wurden anzüglicher, das betrunkene Grinsen immer schmieriger, eine beklemmende Situation. Die Fahrerin bewahrte kühlen Kopf, stellte nur klar: „Dafür bin ich nicht zuständig.“ Mit einem Themenwechsel schaffte sie es, die Männer von sich abzulenken und kam gestresst, aber unbehelligt aus der Situation heraus. „Keine Angst zeigen“, ist ihre Devise, mit der sie durch die Nacht kommt.
23 Uhr 20, eine „Frauen-Nacht-Taxi-Fahrt“ ist gewünscht. Ins Auto steigt eine junge Frau mit zwei kleinen Kindern, schätzungsweise drei und vier Jahre alt. Warum sie mit dem Frauen-Nacht-Taxi fährt? „Weil es billiger ist“, lautet die ebenso simple wie überzeugende Antwort. „Außerdem werde ich mit den Kleinen im Bus immer so blöd angeguckt“, sagt die Mutter.
Es regnet. Während des Wartens auf die nächste Tour erzählt Elisabeth davon, wie sie zu ihrem mittlerweile geliebten Job kam: „Mit vierzig habe ich noch mal ein Jahr gelernt“ – von der Versicherungskauffrau zur Finanzbuchhalterin – „weil das zu der Zeit angeblich total gefragt war.“ Aber als sie ausgelernt hatte, war der Boom vorbei. Was also tun? „Taxifahrer werden doch immer gesucht, habe ich mir damals gedacht.“ Vier Wochen später hatte Elisabeth dann den Schein und fuhr „zum Üben“ erst mal nur tagsüber.
Ob eine Schwangere mit Presswehen, oder dass die Taxi-Fahrerin aus Versehen an einem Einbruch beteiligt war – schräge Geschichten erlebt Elisabeth immer wieder. Aber wer kann auch ahnen, dass der Fernseher, den der Fahrgast in Hastedt aus einer Wohnung trägt, gar nicht ihm gehört? Elisabeth hat noch tragen geholfen. Erst als ihre Zentrale sie bittet, sich bei der Polizei zu melden, wird ihr klar, dass da was nicht stimmte. Die Chauffeurin war „aus Versehen“ an einem Wohnungseinbruch beteiligt. Als sie die Geschichte erzählt, muss sie lachen. Elisabeth hat sicherlich keinen Hang zum Verbrechen. Aber sie liebt ihren Beruf dafür, dass er nie langweilig wird.
In dieser Nacht ist es recht ruhig. Nur zwischen zwei und drei Uhr morgens kommen ein paar Touren direkt hintereinander: Jugendliche, die zu einer Party an der Uni wollen, oder Eltern, die vom Geburtstag ihrer inzwischen erwachsenen Kinder kommen. Für die Taxifahrerin ist die Nacht etwa um halb fünf zu Ende. Dann trinkt sie noch ein Glas Milch, bevor sie neuen Geschichten entgegenschläft.
Ulrike Bendrat
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