Wo Gott abgedankt hat

■ Taboris „Goldberg Variationen“ hatten ihre gefeierte Premiere im Stadttheater Bremerhaven

Bremerhaven: Viel Lärm um nichts? Nein, das wäre ungerecht. Wolfgang Hofmanns Inszenierung kann sich sehen lassen, aber als sich Dienstagabend am Ende der nachgeholten Premiere der Vorhang wieder schloss, war auch klar, dass hier keine „Theatergeschichte geschrieben“ worden war, wie es der Protagonist des Spiels, Mr. Jay, fordert. Mr. Jay ist der Allmächtige, der Regie-Gott, ein Theatermann mit allen dazugehörigen Hässlichkeiten, selbstherrlich, großkotzig, zynisch, und doch eine Autorität, die von allen anerkannt wird. Dieser Regie-Gott war in Bremerhaven nur in Ansätzen zu erkennen. Der Schauspieler Kay Krause ist ein Vollblutkomödiant, er zeigt weniger die gewichtige Gefährlichkeit eines Besessenen als die unfreiwillige Komik eines aufgeplusterten Provinz-Casanovas. Wenn er die Darstellerin der Eva, Teresa Tormentina Superstar (Hella-Birgit Mascus), ultimativ auffordert, sich nackt zu zeigen, weil es die Bibel verlange, dann klingt kein heiliger Zorn aus seinen Worten, sondern künstlich angemaßte Größe. Im Kampf mit seinem Assistenten Goldberg (Guido Fuchs) ist Jay der Unterlegene. „Sie sind eine alte Nutte!“, sagt Goldberg. Gott hat abgedankt, obwohl er mit dem Fahrstuhl von oben auf die Bühne herunterschwebt und beim Heraustreten mit päpstlicher Geste den Boden küßt. Ein weiß gekleideter grauhaariger Dandy betritt den Raum, aber dieser Alte gewinnt keinen Kampf mehr. Er bleibt ein Komödiant, mal nervend, mal Mitleid erregend, und Kay Krause spielt die komödiantischen Seiten seiner Figur so gewitzt aus, dass ihm – verkleidet als Aaron – der Umschlag vom Kalauer in bitteren Ernst in diesen Momenten gelingt.

Lars Peter hat ein wunderbar stimmiges Bild gebaut. Die Bühne des Großen Hauses wird zum offenen Probenraum, in der Mitte der Fahrstuhl, drumherum die offene Maschinerie des Theaters, von oben werden große Kulissenteile herabgelassen, Prospekte für Tag und Nacht, ein rosarot umrahmtes herzförmiges Paradiesbett, himmlischer Kitsch, am Ende die drei Kreuze, die hier auf einem Sandberg stehen, der vorher die Wüste Sinai markiert. Tabori thematisiert die Probensituation sieben (!) Tage vor der Premiere einer Bibel-Show mit ausgewählten Schlüsselszenen des Alten und Neuen Testaments, und er zieht die gesamte Technik mit ins Spiel. In der Schlußszene - schöner Einfall - stehen echte Techniker auf der Bühne und dürfen sich von Ernestina van Veen (Heike Eulitz) erklären lassen, wie eine realistische Kreuzigung zu römischen Zeiten vollbracht wurde. Die biblische Schöpfungsgeschichte als Schöpfungsgeschichte einer Inszenierung. Überblendungen am laufenden Band, mal kalauernd, mal obszön, mal blitzartig ernst. Vor allem dort, wo im Hintergrund vom Holocaust gesprochen wird. Denn hinter aller komödiantischen Witzelei fragt Tabori nach der Gegenwärtigkeit des Glaubens. Im Gewand des Komödianten steckt ein Prediger, der vor allem an die Kraft des Theaters glaubt.

Für Tabori ist Theater eine Kunst aus Fleisch und Blut, nicht weniger grausam als die Welt, und wenn der geknechtete Goldberg (den Guido Fuchs mit trockenem Witz als Underdog präsentiert) zum Schluß seinem Quälgeist Jay verzeiht und ihm einen Kuß auf den Mund drückt, dann wird dieses gemeinsame Wissen spürbar.

Dazwischen - neben gelungenen Gags - viel Klamottiges: Die Putzfrau Mrs. Mopp (Brigitte Röttgers) muß stets geziert trippeln und niemals ordentlich putzen, Andre Bolouri als Kain darf den Regisseur aus Leibeskräften anschreien, aber es wirkt weder echt noch komisch, nur überzogen. Erst in der Schlußszene findet Hofmann zu seiner Form: Da sitzt Jay unterm Kreuz und spricht von seinem rebellischen Sohn Jesus, den er verraten und der ihn verlassen hat. Dann spricht nur noch die Musik von Bach, die Goldberg-Variationen, gespielt von Glenn Gould. Dieser leise Schluss versöhnt mit allen Halbheiten der Inszenierung.

Hans Happel

Stadttheater Bremerhaven: George Tabori, Die Goldberg-Variationen. Weitere Vorstellungen am 20. und 22. Februar