: Rapper, Gangster, Prediger
Drag Kings: „Venus Boyz“ (Panorama) porträtiert Frauen, die als Männer auftreten
Shelly Mars schaut cool ins Publikum. Das Stirnhaar fällt ihr ins Gesicht. Die Zigarette hängt im Mundwinkel. „Im a young independent digital filmmaker“, rotzt sie ins Mikrofon. Pausen setzt sie zwischen die Wörter, damit sie Eindruck schinden, und in den wenigen Gesten ist alles enthalten: die Nonchalance des jungen Nerds, die Anmaßung, die Selbstüberschätzung.
Shelly Mars verkörpert eine Figur, die ihr zur zweiten Haut wird und die sie doch auch vorführt. Das Publikum im Slipper Room, einem Club in der New Yorker Lower East Side, dankt es ihr mit viel Applaus.
Shelly Mars ist einer der Drag Kings, die die Schweizer Filmemacherin Gabriel Baur in ihrer Dokumentation „Venus Boyz“ vorstellt. Drag Kings sind Frauen, die als Männer auftreten: manche für einen Abend im Slipper Room oder einen Nachmittagsspaziergang über den Times Square, andere für ein ganzes Leben.
So wie ihre Pendants, die Drag Queens, aus einem großen Fundus von Weiblichkeitsbildern schöpfen, so performen sie eine Vielzahl von Männlichkeitsmodellen: den Nerd, den Dandy, den Proll, den Rapper, den Gangster, den Fernsehprediger.
Schön ist Baurs Film, weil er immer wieder das Making Of zeigt, die Momente vor dem Spiegel, in denen Weiblichkeit zu Männlichkeit wird, oder in den Secondhandläden, wo die Requisiten beschafft werden. Weiblich konnotierte Tätigkeiten wie Schminken und Shoppen erhalten ein neues Vorzeichen, da sie als Schritte hin zu einer fröhlichen Mannwerdung gefeiert werden.
Dabei wird die Männlichkeit, die die Drag Kings verkörpern, begehrt und verlacht zugleich. Baur ist klug genug, sich der Selbstwahrnehmung der Drag Kings nicht ganz zu verschreiben. „Mama, du klischierst total“, sagt zum Beispiel die Tochter von Diane Torr, weil Torr vor allem Machos darstellt. Ein Modell, das sich längst überholt habe, findet die Tochter.
Solange Baur in New York bleibt, transportiert „Venus Boyz“ vor allem den Spaß an der Maskerade und der Performance, an einem Gender-Karneval, der in einem Bachtin’schen Sinne etwas Fundamentales – die Idee der Zweigeschlechtlichkeit – auf den Kopf stellt.
Schwieriger wird es, wenn Baur in London Drag Kings filmt, für die es um deutlich mehr geht als um die Performance. Hier ist Männlichkeit eine Lebensentscheidung, die mit Testosteronspritzen und Brustamputationen besiegelt wird.
Dementsprechend schwer wiegt bisweilen die Rhetorik. Viel ist da die Rede von der Selbstfindung und -verwirklichung jenseits der festgelegten Rollen, der sich eine intolerante, auf Zweigeschlechtlichkeit fixierte Mehrheitsgesellschaft in den Weg stelle.
Das sind Floskeln, die an die Stelle der Dichotomie von männlich und weiblich nun die von Minorität und Majorität rücken. Zu denken geben sollte es aber doch, wenn der Fotograf Del LaGrace Volcano sagt, dass er viel ernster genommen werde, seit man ihn für einen Mann hält.
CRISTINA NORD
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen