: „Das Gesetzprojekt bleibt gefährlich“
Walentina Melnikowa, Pressesprecherin der Soldatenmütter Russlands, über die geplante Regelung zum Zivildienst
taz: Jahrelang hat Ihre Organisation um Ausführungsbestimmung zum verfassungsmässigen Recht auf Zivildienst gekämpft. Betrachten Sie das neue Gesetzesprojekt, das jetzt vorliegt und diesen Bereich regelt, als einen Erfolg Ihrer Vereinigung?
Walentina Melnikowa: Von Erfolg kann ja wohl kaum die Rede sein, wenn der Dienst vier Jahre dauern soll. Einen Zivildienst, der doppelt so lang ist wie der Militärdienst, gibt es sonst nur noch in Ländern wie Honduras und Cap Verde. Während so einer Frist kann ein junger Mann in hohem Maße an Qualifikation verlieren. Wir sind für gleich lange Militär- und Zivildienstzeit und dafür, dass eine Erklärung des Betroffenen für seine Zuordnung genügt. Denn wenn die Jungs vor einer Kommission ihre pazifistische oder religiöse Gesinnung beweisen müssen, ist das eine Gelegenheit, Kompromat gegen sie zu sammeln.
Kompromittierendes Material – wieso?
Na ja, da werden Lehrer und Eltern gehört und sollen zum Beispiel erzählen, was der Junge im Alter von vier Jahren so alles angestellt hat. Ob er nicht vielleicht verdächtig viel Soldat gespielt hat.
Was soll das für eine Kommission sein?
Die ganz normale Einberufungskommission. Da sitzen der Stellvertreter des lokalen Verwaltungschefs, ein Militärkommissar, ein Arzt, ein Vertreter des Innenministeriums, ein Vertreter der örtlichen Behörde für Bildungswesen und nach Bedarf Vertreter anderer Organisationen. Die Zuweisung des Zivis an eine konkrete Dienststelle soll dabei der Militärkommissar vornehmen. Und – wogegen wir ganz und gar sind: Der kann ihn auch auf ein militärisches Objekt schicken, zum Beispiel auf eine Farm des Verteidigungsministeriums. Rein auf dem Papier steht, der Zivi sollte dort nicht mit Wehrdienstleistenden in Berührung kommen. Dabei bräuchten wir die jungen Leute doch so dringend in den Krankenhäusern. Dort sind wir jetzt so weit, dass die Chirurgen persönlich ihre Kranken auf den Operationstisch hieven.
Also gar nichts Gutes?
Doch. Immerhin haben wir es geschafft, dass die Jungs den Dienst an ihrem Wohnort leisten dürfen. Und dass sie nebenbei ein Abend- oder Fernstudium betreiben können. Trotzdem bleibt das Gesetzesprojekt gefährlich. Wir aber sind gewitzter geworden. In Nischni Novgorod, Perm und Wladimir haben junge Männer seit 2000 von sich aus begonnen, Zivildienst zu leisten. Wir haben ihnen beigebracht, dass sie einen offiziellen Segen dafür brauchen, damit die Sache später anerkannt wird. Inzwischen haben die lokalen Bürgermeister entsprechende Erlasse unterschrieben.
Ein Deputierter von der Union Rechter Kräfte hat die Beweispflicht vor der Kommission als „Seelenstriptease“ bezeichnet.
Mir geht es gar nicht darum, wie dort bewiesen wird. Ich sehe dort einfach niemanden sitzen, der überhaupt bereit wäre, sich etwas beweisen zu lassen. Die überwältigende Mehrheit der Leute in diesen Kommissionen ist doch gottlos. Und sie haben keine Ahnung davon, was das ist: ein Gewissen. Ihnen fehlt das Organ, um so etwas zu orten.
Und wie sehen Sie das Schicksal des Gesetzesentwurfes?
In der Duma tauchen immer mehr Argumente für unsere Seite auf. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Generalität noch ein paar weitere Konzessionen machen wird.
Sind die Militärs so erschöpft vom Kampf in den Ausschüssen?
Ach wo. Aber die nehmen doch so ein Gesetz nicht ernst. Sie feilen lieber an Tricks, mit denen sie es umgehen können.
INTERVIEW: BARBARA KERNECK
Fotohinweis:WALENTINA MELNIKOWA, 56, ist seit 1989 bei den Soldatenmüttern
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