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Glitterschwänze

Sie waren die psychedelische Radikalisierung des Prinzips Drag Queen: „The Cockettes“ (Panorama), das Hippiekollektiv aus San Francisco

„The Cockettes“ von Bill Weber und David Weissman ist ein Dokumentarfilm, dessen eher konventionelle Machart beim Zusammenschneiden von Zeitzeugenaussagen und historischem Material vollständig zur Seite tritt angesichts der Geschichte, die er zu erzählen hat. Dies ist die Geschichte eines Hippiekollektivs aus San Francisco, das das Beste aller Befreiungsbewegungen zusammenschmiss. Die bessere pansexuelle Gesamtbefreiung, nämlich eine unter queerer Leitung, die aber niemanden ausschloss. Bei den Cockettes traf sich die ungebremste psychedelische Experimentierlust der frühen Hippieszene mit den ersten Keimen schwulen Aktivismus. LSD und eine damals noch nicht so genannte Transgender-Kultur brauten im Zeichen von Anarchie und Überschwang, aber auch von streng kommunistischen Beatnik-Kommunen unterstützt, eine Show zusammen, bei der vor allem Schwänze baumelten, Vorkriegskleidung spazieren geführt und abwechselnd alte Broadway-Klassiker und Stones-Hits abgesungen wurden. Das zeitgenössische Publikum war begeistert und das Palace Theater ausverkauft. Niemand wollte eine fertige Vorführung von der Bühne geboten bekommen, sondern in erster Linie stimuliert werden, sich ebenfalls zu schminken und ebenso viele Kleider anzuziehen wie fallen zu lassen.

Aber die Cockettes waren nicht nur entgrenzte Hippies, unter ihnen gab es auch exakte Künstler mit einer Vision, sei es der Anführer der frühen Jahre Hibiscus, der nicht für Geld auftreten wollte, sei es Jilala, der noch heute aussieht, als käme er unmittelbar aus der Maske eines Kenneth-Anger-Films, sei es Sylvester, der spätere Disco-Superstar, Gott der frühen Maxi-Single und zentrale Inspiration für Prince. Bei den Cockettes gab es auch Frauen (die dann in den Schwanzbaumelszenen kleine rosa Plastikimitate umschnallen), Verheiratete und sogar einen Heteromann, der allerdings heute weiß, im nächsten Leben schwul zur Welt kommen zu wollen. Die Cockettes waren die psychedelische Radikalisierung des Prinzips Drag Queen: nicht mit einem schon bestehenden Skript zu verschmelzen, war das Ziel, sondern mit den Mitteln des Drag – überbordenden, gleichwohl wohlgewählten Kostümen, Glitter und Schminke – ein neues, LSD-gesättigtes utopisches Skript entwickeln.

Konservative Drag Queens hätten sich vor den Cockettes genauso gefürchtet wie der normale Spießer, meint Scrumbly, ein zur Premiere mitgereister Ex-Cockette, der dem wegen der vielen Drogen besorgten Berlinale-Publikum die Bedenken gegenüber LSD auszureden versuchte.

Drei Jahre begeistern die Cockettes das Publikum ihrer Heimat und die wenigen, die ihre großartigen Filme sahen. Ihr Ruf dringt bis nach Baltimore, wo der junge John Waters von ihnen hört. Seine beste Queen bringt seinen ersten Film nach San Francisco und beschließt, nie wieder Glenn Milstead und fürderhin Divine zu sein. Und schließlich nach New York, wo dann alles schief ging. Den Cockettes eilte ein Ruf voraus: Truman Capote hatte beschlossen, sie seien exakt „where it’s at“, John Lennon, Gore Vidal und Andy Warhol waren zur Premiere geeilt, doch es war eben keine durchorganisierte Show. Plötzlich schnurrte alles auf ein Hippie-Stadtteilfest zusammen. Man hatte die SF-Atmosphäre nicht in die Sprache von Max’ Kansas City übersetzen können. Die New Yorker hätten eher etwas wie „Hair“ erwartet, slicke Profischeiße eben.

Es gab auch Konflikte. Der mehr kosmisch-freakige Flügel, der kein Geld verdienen wollte, setzte sich zu den Angels Of Light ab. Einige Jungs wollten keine Frauen in der Truppe, einige Frauen fanden es amüsant, wie die Typen ihre weibliche Seite entdecken wollten, der sie „way beyond“ enteilt wären.

Ende 1972 war es vorbei. Viele Cockettes starben schon in den 70ern an Überdosen; Sylvester, Hibiscus, Divine und viele andere an den Folgen von Aids, zuletzt der sympathische Reggie, der am Ende ein rührendes Plädoyer gegen Malls und Kriege und für ein Leben mit zerfetzten Kleidern, LSD und Strand hält.

DIEDRICH DIEDERICHSEN

„The Cockettes“. Regie: Bill Weber. USA 2001, 99 Min.

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