: Alles wie immer
Sylke Otto, Barbara Niedernhuber und Silke Kraushaar greifen einen kompletten Medaillensatz ab. Nichts anderes hat man von ihnen erwartet
aus Salt Lake City MARTIN HÄGELE
Journalisten, die bei Olympia in einer anderen Zeitzone praktisch rund um die Uhr im Einsatz sind, haben es nicht gern, wenn ihnen ein Funktionär Tempo und Thema diktieren möchte. Aber irgendwie hatten sie auch Verständnis, als Klaus Kotter, der Präsident des deutschen Bob- und Schlittenverbandes, den im Zielraum des Damen-Rodelwettbewerbs versammelten Medien zurief: „Arbeiten, arbeiten, arbeiten.“ Und das nur ein paar Sekunden, nachdem das stolzeste Resultat seines Verbandes feststand: Siegerehrung mit Sylke Otto, Barbara Niedernhuber und Silke Kraushaar, nebenbei mit der 100. deutschen Goldmedaille bei Olympischen Winterspielen noch ein kleines Betriebsjubiläum. Und deshalb sollten die Journalisten möglichst schnell an ihre Laptops, nicht nur den dreifachen Triumph der Landsfrauen den Lesern in der deutschen Heimat möglichst grandios verkaufen. Insbesondere sollten sie auch von der wahnsinnigen Atmosphäre erzählen: 13.249 Zuschauer bei einem Schlittenrennen von Frauen, und das auch noch nachts – so etwas hat es noch nie gegeben. Die drei Landsfrauem können sich für ihre olympische Medaillen durchaus bei Klaus Kotter bedanken. Der Mann aus Prien am Chiemsee hat vor fast einem Vierteljahrhundert verhindert, dass die Bob- und Schlittenfahrer aus der olympischen Familie ausgeschlossen wurden. Kotter kämpfte wie ein Löwe um seine Sportart – und er baute sie aus. Als weltweiter Chef der Kufensportler rekrutierte er selbst in der Karibik seine Jünger, weshalb die wunderbare Hollywood-Story vom Bob Jamaica ebenso auf seine Mission zurückzuführen ist wie der spektakuläre Unfall der 108 Kilo schweren Venezolanerin Iginia Boccalandro, die dummerweise schon im ersten Lauf vom Schlitten gekippt war, weil sie Steuerprobleme hatte. Ehrlicher gesagt: Der Bauch hatte ihr die Sicht versperrt.
„Otti“, „Babsi“ und „Krausi“, wie die Siegerinnen gerufen werden, haben selbstverständlich andere Figuren; wer von den dreien letztendlich ganz oben stehen durfte, war dem Verbandschef indes egal. Weniger weil ein Chef neutral sein sollte, wenn die Athletinnen aus verschiedenen Bundesländern kommen. „Hauptsache, die verschiedenen Bahnen sind auf dem Podium vertreten“, sagte Kotter vielmehr. Denn vom Erfolg des deutschen Trios werden nun auch die Bob- und Rodelanlagen von Altenberg, dem Trainingsstandort Ottos, Königssee, wo Frau Niedernhuber übt, und Oberhof, dem sportlichen Zuhause von Silke Kraushaar, profitieren. Die Zukunft der Bahnen ist wieder einmal gesichert, was einer Medaillengarantie für die WM und die nächsten Olympische Spiele gleichkommt.
Man kann sich an Erfolge ja gewöhnen. Und so hat sich ein Reporter in der Pressekonferenz der Siegerinnen den Spaß gemacht zu fragen, wie oft sie gewonnen und wann sie zum letzten Mal ein Rennen verloren hatten. Die drei brauchten die Hilfe der Fachjournalisten, bis die Daten komplett waren: 56 Siege in Serie, zuletzt sind sie in der Weltcupsaison 1997 von der Österreicherin Tagwerker geschlagen worden; und was Olympia betrifft, muss man zurückgehen bis nach Lake Placid 1980 und zu der Russin Vera Sasulja.
Diese Hier-wird-deutsch-gesprochen-Domäne trägt natürlich wenig zur Attraktivität bei; und so fühlen sich die erfolgreichen Athletinnen auch unter Wert präsentiert. „Wir werden noch immer als Randsportart betrachtet“, sagt Sylke Otto, „aber was können wir tun? Sollen wir etwa bremsen, damit die anderen gewinnen?“ Andererseits haben Otto, Niedernhuber und Kraushaar nur deshalb eine gewisse Popularität erreicht, weil sie alle vier Jahre und so zuverlässig, wie Zigarettenautomaten funktionieren, Medaillen ausspucken. Das ist auch das Dilemma von Gold-Frau Otto: „Traurig, dass unsere Siege so selbstverständlich sind. Schade, dass Rodeln in Deutschland nicht so akzeptiert wird wie hier.“
So mischte sich in die Freude über den Dreifachtriumph auch das ein oder andere nachdenkliche Wort. Silke Kraushaar etwa, die Olympiasiegerin von Nagano, hat nicht hundertprozentig eingestimmt in den Beifall um ihre Nachfolgerin. Obwohl sie seit drei Jahren halbjahresweise Doppelbett und Zimmer teilen und die eine die andere ihre Freundin nennt, hat Kraushaar gesagt, Sylke Otto bekomme das bessere Material. Nur so erkläre sich, dass diese am Ende die Nase vorne habe, obwohl sie selbst mit dem besten Start aller Rodlerinnen losgefahren sei. Die Stallregie spielt offenbar auch hier eine Rolle. Und Barbara Niedernhuber hat ganz offen zugegeben, dass ihre zweite Silbermedaille zu einem großen Teil auch Schorsch Hackl gehört: „Wenn der mir nicht Tipps gegeben und seinen Schlitten geliehen hätte, wäre es anders ausgegangen“, gab sie zu.
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