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im anderen land

Ankunft in Madrid

„So einen Flug habe ich noch nie erlebt“, erzählt Analía Iglesias. „Alte Leute, Schwangere, ganze Familien … es glich mehr einer Busreise als einem Interkontinentalflug.“ Vor einer Woche wurden die 38-Jährige aus Córdoba und ihr Mann Teil des Exodus. Die Zeitungsjournalistin und der Tontechniker gehören zu den tausenden von Argentiniern, die auswandern wollen. „Wir wollten schon immer mal in einem anderen Land leben“, sagt Analía. Doch was ein Projekt war, „um etwas Neues zu erleben und persönlich zu reifen“, ist seit dem Ausbruch der Krise „zum einzigen Ausweg“ geworden: „Meine Kinder verdienen eine andere Zukunft, als das, was Argentinien noch zu bieten hat.“

Noch sind die Kinder bei den Großeltern. Analía hat ihren Jahresurlaub genommen, „schnuppern, wie Madrid ist“, wollte sie erst einmal. Und es gefällt ihr: „Wir wurden hier blendend empfangen. Alle Leute fragen uns nach der Situation zu Hause.“ Argentinien ist mit dem ehemaligen Mutterland enger verbunden, als viele lateinamerikanische Nachbarn. Als Franco den Bürgerkrieg gewann, flohen spanische Intellektuelle und Künstler auf die andere Seite des Ozeans. Als in den 70er-Jahren die Generäle in Argentinien die Macht an sich rissen, bewegte sich der Flüchtlingsstrom in die entgegengesetzte Richtung.

In zwei Wochen möchte Analía noch einmal zurück nach Córdoba, der zweitgrößten Stadt Argentiniens, um die Kinder abzuholen. Ob ihr Mann mitkommt, weiß sie noch nicht. „Die Entscheidung haben wir aufgeschoben“, erzählt sie. „Es gibt jeden Tag so viele Sachen zu bedenken, dass ich ständig Kopfweh bekomme.“ Die Flugtickets (900 Euro hin und zurück) will Analía mit dem bezahlen, was sie verkaufen kann. Das Auto, die Einrichtung des Tonstudios ihres Mannes … Aber: „Es ist ein schlechter Moment in Argentinien, keiner hat Kohle.“ Dann hofft sie noch auf eine Abfindung ihres Arbeitgebers.

Noch wohnen die beiden bei Freunden, die Argentinien schon vor eineinhalb Jahren verließen. „Doch wenn die Kinder kommen, brauchen wir eine Wohnung“, sagt Analía. Und dafür brauchen sie Arbeit.

Analía hat sich bereits überall vorgestellt. „Doch hier gibt es eine Journalistenschwemme.“ Eine Woche hat genügt, um nach anderen Möglichkeiten Ausschau zu halten. „Übersetzungen, ein Verwaltungsjob im Kulturbetrieb … ich kann mir vieles vorstellen“, sagt sie. Doch dazu muss erst mal eine Aufenthaltsgenehmigung her – spanische Großeltern hat sie nicht. „Wir sind dran“, bekräftigt Analía. Wie das genau geht, möchte sie nicht verraten.

REINER WANDLER, MADRID

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