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Die fröhlichste Baracke des Balkans

Was von Jugoslawien übrig blieb: „Der Grenzschützer“ aus Slowenien und „Boomerang“ aus Belgrad (beide Panorama) erzählen vom Leben dies- und jenseits von Mitteleuropa – einmal als Teenagerdrama, einmal als deftige Pulp-Groteske

von DANIEL BAX

Dies sei „der beste slowenische Film“, den sie je gesehen habe, lobte eine Zuschauerin nach der Premiere: Für manche ein Grund zum Schmunzeln beim lästerlichen Gedanken, dass der Vergleichsrahmen ja nicht allzu weit gesteckt ist. Aber auch eine Erinnerung daran, dass die Berlinale, zumal für einen Kleinstaat wie Slowenien, eines der wenigen Foren nationaler Selbstdarstellung bietet. Der slowenische Botschafter war bei der Premiere jedenfalls auch zugegen. Was er über den „Grenzschützer“ dachte, ist allerdings nicht überliefert.

In „Varuh Meje“ brechen drei Mädchen auf, im idyllischen Grenzgebiet zwischen Slowenien und Kroatien eine Kanutour zu unternehmen. Mit Tattoo, Nasenring und nackt badend unschwer als aufgedrehte Städter zu erkennen, scheinen die drei eher an den Strand von Ibiza zu gehören als in die sattgrüne, fast menschenleere Gebirgslandschaft, durch die sie mit ihren beiden Booten paddeln. So wird die Fahrt den Fluss hinab auch zu einer Reise ins Unterholz der politischen Realität ihres Landes und nicht zuletzt auch in die Untiefen sexueller Selbstfindung.

Die latente Bedrohung, die durch schummrige Sixties-Musik angedeutet wird, findet bald ihren manifesten Ausdruck: Indizien deuten auf die Spuren eines Mädchens, das in der Gegend verschwunden sein soll. Und ein unheimlicher Angler, der auch Amtsperson ist, entpuppt sich als Politiker, der auf einem Dorffest populistische Reden schwingt: Ein neurechter Saubermann vom Schlage eines Haider oder Fini. Er spielt die Rolle des großen, bösen Wolfs, der, mit zwei besoffenen Dorfjungs im Gefolge, den Mädchen am letzten Abend vor ihr Zelt folgt und sie bedroht. Ausgerechnet Simone, die Brave, die durchaus angezogen war von seinem autoritären Auftreten, opfert sich für die anderen in einer Szene, die – als mutmaßliche Vergewaltigung – ins Mystische lappt.

Die Regisseurin Maja Weiss hat „Varuh Meje“ in ihrem Heimatort gedreht. Der Fluss, der dort die Grenze zu Kroatien markiert, sei ein beliebtes Sommerziel, erzählt sie nach der Vorführung; die Leute schwömmen dort mit Kleingeld im Mund ans andere Ufer, weil dort das Bier billiger sei. Doch bald schon soll an dieser Stelle die Schengen-Grenze verlaufen, 6.000 Polizisten werden Europa dann hier vor illegalen Flüchtlingen abschotten.

Jenseits von Mitteleuropa aber, in Restjugoslawien, ist das Leben ohnehin lustiger, selbst wenn es nur der Humor der Verzweifelten ist, glaubt man der überzeichneten Groteske „Boomerang“. Das „Boomerang“ ist eine Kneipe in Belgrad, in der das Schicksal eine Hand voll skurriler Gestalten zusammenführt: gescheiterte aller Klassen, die am Ende zusammen Ringelreihen tanzen. Die junge Olga vermacht ihr Koks, das sie einem Mafiaboss geklaut hat, einer Klofrau, und der Polizeiinspektor heißt „Hintern“. Er wird vom Kneipenwirt Bobby erschossen, der im Keller ein riesiges Waffenlager hat: Deftig und derb ist das, Balkan-Pulp eben.

„Boomerang“ strapaziert noch einmal bis zur Erschöpfung jenes Bild von Serbien als lustigster Baracke des Balkans, das Emir Kusturica mit seinen Filmen in die Welt gesetzt hat, und feiert als anarchischen Witz, was über weite Strecken schlichtweg albern ist. Da wird natürlich viel getrunken und ohne großen Grund leichtferig um sich geschossen, aber alles nur halb so schlimm: Die vermeintlichen Leichen kehren alsbald wieder ins Leben zurück, und sei es mit einem dekorativen Loch im Kopf.

Dieser zwanghafte Unernst ist auf Dauer nicht nur ermüdend, sondern wirkt auch seltsam unpolitisch, wenn man bedenkt, dass Regisseur Dragan Marinković seinen grobschlächtigen Komödienstadl ausdrücklich als Allegorie auf das Leben in Belgrad nach dem Sturz von Milošević verstanden wissen will. Offiziell wirbt der Film mit dem Slogan „Die Tragödie von gestern ist die Komödie von heute“ für sich, und mitgewirkt hat eine prominente Schauspielerriege. Das Drehbuch stammt vom Autor Svetislav Basara, der heute als Botschafter Jugoslawiens in Zypern amtiert, und die Musik von Rambo Amadeus, einem Rockstar der lokalen Szene.

Vor diesem Hintergrund muss man „Boomerang“ wohl auch als Dokument dafür sehen, in welcher Verfassung sich Belgrads Boheme selbst wähnt: als Opfer einer Tragödie, durch äußere Umstände in die Absurdität getrieben und aufgrund einer Mentalitätskluft von Mitteleuropa unverstanden.

Es ist, als wolle der Film sagen: So sind wir halt – ein wenig eigen, aber liebenswert. Und: Wir waren’s nicht, Milošević ist’s gewesen. Vor allem, wenn zum Ausklang, über den Dächern von Belgrad und den rauchenden Trümmern des „Boomerang“, die Stimme eines Schutzengels aus dem Off ertönt, der sagt: „Verurteilt sie nicht: Es sind keine schlechten Leute. Sie sind nur etwas unbeholfen in der Art, wie sie ihre Gefühle zeigen.“ Ach so.

„Varuh Meje“, Regie: Maja Weiss. Slowenien/Deutschland 2001, 98 Min. „Boomerang“. Regie: Dragan Marinković. Jugoslawien 2001, 92 Min.

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