: Schnee aus der Kanone
Im Osttiroler Defereggental werden Pisten präpariert, wenn der Winter wieder mal ins Wasser fällt. Ohne die teuren Beschneiungsanlagen kommt in Österreich kaum noch ein Skiort aus
von HENK RAIJER
„Schneeprobleme sind hier unbekannt“, verheißt die jüngste Ausgabe der Winterzeit, der Zeitschrift für Gäste und Einheimische der Osttiroler Urlaubsregion Defereggental. Von Mitte November bis in den April hinein erfülle sich in den Dörfern Hopfgarten, St. Jakob und St. Veit nordwestlich von Lienz alljährlich der „Traum vom winterweißen Zauber“.
Die Broschüre verspricht damit nicht mal zu viel. Denn bedeckt sind sie, die Hänge zwischen Brunnalm und Almspitz, über die an diesem sonnigen Wintertag Sessel- und Schlepplifte eine überschaubare Menge Skiläufer auf 2.500 Meter bringen – nur nicht mit Naturschnee. Der ist in diesem Winter wie vielerorts auf der Südseite der Alpen im Defereggental bis jetzt so gut wie nicht gefallen.
Wenn die Natur versagt, muss der Mensch nachhelfen. Für das „nötige Weiß“, wovon Österreichs Tourismusindustrie so sehr abhängt, sorgt im Skigebiet oberhalb St. Jakobs Andreas Kleinlercher, Geschäftsführer der Brunnalm-Bergbahnen. Sein Job ist es, zu gewährleisten, dass die Pisten bestens präpariert sind – notfalls auch ohne Schnee. „Sofern es mit dem Niederschlag mal nicht so klappt, haben wir hier die modernste Beschneiungsanlage, die derzeit auf dem Markt ist“, sagt Kleinlercher. Und umweltfreundlich sei sie obendrein, spare sie doch Energie und Wasser, da ausschließlich nach Bedarf berieselt werde. „Unsere satelliten- und radargesteuerte Anlage misst das rund 45 Hektar große Gelände aus, informiert die Schaltstelle darüber, wie viel an bestimmten Stellen beschneit werden muss, und navigiert die Schneekanonen dann dorthin, wo Schneeknappheit herrscht.“
In den ersten Wochen des Jahres, die sich in Österreich die „weißen“ nennen, ist der Bedarf größer denn je. An Fasching war wieder Hauptsaison, und bei Minustemperaturen auch am Tage pusten die Pistenmaschinen unermüdlich frisch gekühltes Wasser auf jene Hänge, die heute noch an zu vielen Stellen den unerwünschten Makel der Schneelosigkeit aufweisen, in wenigen Tagen jedoch ungetrübten Skispaß erlauben sollen. So verwandeln allein längs der Sesselbahn sechs Schneekanonen Wasser in Schnee: keimfreies Wasser, das aus Abwässern aufbereitet und anschließend durch Rohre den Berg hoch gejagt wurde. Von kleinen Zapfsäulen entlang der Liftanlage beziehen die radargesteuerten, mobilen Schneemacher über gelbe Schläuche den kostbaren Stoff, dessen Verarbeitung zu Schnee die Betreiber allein an Strom monatlich 40.000 Euro kostet. Je nach Bedarf eben, aber im Ergebnis makellos weiß. Pistenchef Kleinlercher: „Die Leute wollen beim Skilaufen schließlich keinen gelben oder grauen Schnee, nicht wahr?“
So ist die Winterpracht im Defereggental garantiert, auch wenn es, wie in den letzten Monaten, partout nicht schneien will. „Ohne Beschneiungsanlage kommt in Österreich kein Dorf mehr aus“, weiß Gerald Hauser, Obmann der Urlaubsregion, die in einer gelungenen Wintersaison bis zu 190.000 Gästeübernachtungen zählt. In den letzten zehn Jahren sind vier Winter „missraten“. Da müsse man schon investieren, um die Stammgäste zu halten, die in den Dörfern Hopfgarten, St. Veit und St. Jakob mit ihren zusammen knapp 3.000 Einwohnern und 3.700 Gästebetten stattliche 70 Prozent ausmachen. Dazu gehöre nicht nur Schneesicherheit, so Hauser, ein smarter Vierziger, der seit 1988 ehrenamtlich dem regionalen Unternehmerverein vorsteht, sondern darüber hinaus auch ein Erholungs- und Entspannungsangebot, das den Ansprüchen eines gutbürgerlichen Klientels entspricht.
Seit 1994 wird im Jesacher Hof zu St. Jakob „Wellness und Health“ groß geschrieben. Hier können sich gestresste Städter mit dem nötigen Kleingeld von Anti-Age-Behandlungen und Aromatherapien über Ganzkörpermassagen und Meerwasserbäder bis hin zu Wirbelsäulen- und Gelenktherapien alles gönnen, was sie sich im Alltag versagen. „Ohne Wellness kann man als Wintersportort keinen Blumentopf mehr gewinnen“, sagt Hauser. „Auch unsere Gäste, und das sind zu 95 Prozent Individualtouristen, erwarten das.“ Das „Hollywood im Defereggental“ ist jedoch die Ausnahme. „Wir wollen uns nicht prostituieren, kein weiteres Sölden oder Ischgl werden. Wir wollen die Marke Defereggental am Leben erhalten“, betont Hauser, der sich am „Hüttenabend“ auf der hoch gelegenen Alpe Stalle gern einmal einreiht und mit den Gästen zu Tiroler Volksmusik schunkelt, um zu später Stunde und vom Jagertee gut gewärmt die beleuchtete Rodelbahn nach Maria Hilf hinunterzurasen. „Wir setzen auch weiterhin auf jene Zielgruppe, die das Naturgemäße schätzt, rücken das Tirolerische, das Traditionelle in den Vordergrund.“ Auf diese Weise, so Hauser, mache die Region aus der Not eine Tugend. Da das Tal im Herzen des Nationalparks Hohe Tauern ein wenig ab vom Schuss liege, kämen nur wenige Gruppenreisende oder Wochenendausflügler zu den Brunnalm-Liften in St. Jakob. „So haben wir zum Glück keine Probleme mit grölenden Holländern und Deutschen, die sich untereinander nicht recht verstehen“, sagt der Mann, der als Tiroler FPÖ-Abgeordneter für die Haider-Partei im Innsbrucker Landtag sitzt. „Das und die Tatsache, dass an unseren Liftanlagen anstehen ein Fremdwort ist, wissen unsere Stammgäste zu schätzen. Wir auch.“
Anstehen müssen Alpinfans im Skigebiet Brunntal oder am benachbarten Staller Sattel an der Grenze zu Südtirol tatsächlich höchstens nach einem Getränk, wenn sich zur Mittagszeit die Hütten füllen. Wie in fast allen Skigebieten Österreichs inzwischen üblich, verwöhnt auch die Mooseralmhütte ihre Gäste auf der Sonnenterrasse – und darüber hinaus, wenn der Wind es so will – unablässig mit Tophits Marke Herzilein oder Marina.
Bertl Gasser soll’s Recht sein. Der 41-Jährige, einer von 45 Skilehrern im Defereggental, verzieht das Gesicht, wenn er sich Urlauber vorstellt, die ausschließlich der Ruhe und der Natur wegen ins Defereggental kommen.
Ein wenig Abwechslung müsse schon drin sein, findet der sympathische, jugendlich wirkende Mann, der seit zehn Jahren als Skilehrer tätig ist und, wie er sagt, so manchen Miesepeter im Unterricht erlebt hat. „Da kam mal einer daher, der klagte: ‚Die Dauerberieselung mit Musik bei euch – das ist ja eine akustische Umweltverschmutzung.‘ Herrgott sakra!, dem hab ich gesagt, fahr doch rauf zum Heldenkreuz am Staller Sattel, da haste deine Ruh. Aber ehrlich, das darf man den Leuten doch mal sagen, oder?“
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