: Maß an Differenziertheit
betr.: „Wahlkampf statt Demut“, taz vom 18. 2. 02
Was kritisiert die Kommentatorin eigentlich an Fischer. Dass er sich – wie viele europäische Regierungen – gegen die kriegerischen Äußerungen der USA-Administration gegen den Irak wendet, wird ja wohl begrüßt. Diese kritischen Äußerungen Fischers werden doch nicht dadurch entwertet, dass er im Fall Afghanistan für den Einsatz der USA und für eine Solidarität im Bündnis war. Im Gegenteil erlangen sie dadurch doch erst eine besondere Glaubwürdigkeit. Es ist eben kein reflexhafter oder von Wahltaktik gepägter Antiamerikanismus, sondern das Ergebnis einer sorgfältigen Prüfung des konkreten Einzelfalles.
Fischer hat gesagt, dass ihm bisher niemand konkrete Beweise für die Verwicklung des Iraks in die Anschläge des 11. September habe vorlegen können. Das genau war im Fall Afghanistan eben anders. Warum es „leichtgläubige Wähler“ braucht, um diesen einfachen Sachverhalt zu verstehen, erschließt sich mir nicht. Im Gegenteil können Wählerinnen und Wähler dieses Maß an Diffenziertheit von einem grünen Außenminister zu Recht erwarten.
NORBERT SCHELLBERG, Berlin
Ich habe mich gefreut, in der taz mal wieder so einen klaren und ohne Scheuklappen formulierten Kommentar, wie den von Frau Gaus zu lesen. […]
Dass der Wahlkampf – für die Grünen der Kampf ums politische Überleben, für Fischer der Kampf gegen ein Fußnotendasein in der deutschen Zeitgeschichte – jetzt bewirkt, dass der deutsche Außenminister sich der europäischen Kritik an den brandgefährlichen amerikanischen Omnipotenzfantasien anschließt, müsste man im Interesse der Sache eigentlich begrüßen. Kann man aber nicht. Fischer beweist damit nämlich nur, dass er nach wie vor genau weiß, wann es Zeit ist, sein Fähnchen im Wind neu zu justieren. Im Amt wird seine Überforderung zunehmend deutlich, er selbst zur Belastung und zum Risikofaktor. Bisher hat Fischer von seiner erfolgreichen öffentlichen Inszenierung und einer guten Selbstdarstellung gelebt. Grundlage dafür waren ein untrügliches Gespür für Entwicklungen und ein herausragender politischer Instinkt. Beides verlässt ihn zunehmend. Jüngster Beweis dafür ist Fischers Nahosttrip, den er völlig konzept- und planlos absolvierte. Ohne eine ehrliche und unvoreingenommene Bestandsaufnahme wird es weder im Nahen Osten noch in einer anderen Interessensphäre europäischer Außenpolitik gehen. Fischer bringt dafür aber genauso wenig die persönlichen, wie die Grünen die politischen Voraussetzungen mit. TARIK TELL, Bonn
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