Unerwünschter Ballast

Über den Schiffsverkehr gelangen immer mehr fremde Meerestiere in die australischen Küstengewässer. Am Meereslaboratorium Hobart wird erforscht wie sich die Invasoren verbreiten und wie sie bekämpft werden können

von BERNHARD MATUSCHAK

Im Sommer bietet sich im Hafen von Hobart ein farbenprächtiges Bild. Dicht an dicht sitzen leuchtend gelbe Seesterne mit rosa Tupfen auf dem Meeresgrund. Das von den Spaziergängern bewunderte Naturschauspiel ist für Ronald E. Tresher eine Umweltkatastrophe. Der Leiter des Forschungszentrums für eingeschleppte marine Seuchen (Crimp) stuft Asterias amurensis, wie der bunte Seestern wissenschaftlich genannt wird, als eine der schlimmsten Meeresplagen Australiens ein: „Asterias hat keine natürliche Feinde und frisst alles, was ihm vor die Mundwerkzeuge kommt. Der Seestern ist wie ein kleiner Hochleistungsstaubsauger, der langsam über den Meeresgrund rutscht.“

Die Tierart, die im Hafen der tasmanischen Hauptstadt so prächtig gedeiht und sich über die Meeresfrüchte her macht, ist ein Fremdling in diesen Breiten. Das eigentliche Zuhause des Stachelhäuters ist die nördliche Hemisphere. Asterias besiedelt ein Gebiet, das von den Küstengewässern Japans und Nordchinas über Russland bis nach Alaska und Kanada reicht. Wann der nordpazifische Seestern nach Tasmanien einwanderte, weiß niemand. Bevor Meeresbiologen die Tiere bestimmten, dachte man, es sei eine einheimische Art. Als feststand, dass es sich um den Seestern aus dem nördlichen Pazifik handelt, war es zu spät, um Maßnahmen gegen die Invasoren zu ergreifen. Die Population im Hafenbecken von Hobart war zu diesem Zeitpunkt auf zirka 30 Millionen Individuen angewachsen.

Die Entdeckung von Asterias amurensis war der Auslöser für die Gründung des Crimp. Aufgabe dieser weltweit einzigartigen Forschungseinrichtung ist es, fremde marine Organismen in den Gewässern des fünften Kontinents zu identifizieren, herauszufinden, wann und wie sie nach Australien gelangten und sich etablieren konnten, und Strategien gegen die Ausbreitung der Eindringlinge zu entwickeln.

Die Arbeit der Crimp-Wissenschafter brachte Bestürzendes ans Licht. Ronald E. Tresher schätzt, dass rund um Australien zwischen 400 und 500 fremde marine Arten, vom Einzeller bis zum Raubfisch, Fuß gefasst haben. Bis heute konnten die Forscher am Crimp etwa 250 von ihnen wissenschaftlich bestimmen. Der Großteil der Einwanderer erreicht die ozeanischen Gewässer im Ballastwasser, das Tanker aufnehmen müssen, wenn sie ihre Ladung löschen und keine neue Ware an Bord nehmen. Ohne zusätzliches Gewicht würden die Frachter zu hoch im Wasser liegen und könnten bei starkem Wellengang kentern. Bevor die Schiffe im nächsten Hafen wieder beladen werden, lassen sie das Ballastwasser ab, und zahllose fremde Organismen werden freigesetzt.

Nicht alle der blinden Passagiere sind eine Bedrohung für die heimische Meeresfauna und -flora. Viele von ihnen kommen mit den klimatischen Bedingungen in der neuen Umgebung nicht zurecht und sterben sofort, andere vermehren sich kaum und nehmen wenig Einfluss auf das ökologische Gefüge.

Derzeit stufen die Crimp-Wissenschafter denn auch nur zwölf Arten als besonders gefährlich für die australischen Gewässer ein. Doch Ronald E. Tresher weiß, dass diese Liste unvollständig ist. Erst fünf Prozent der Einwanderer sind identifiziert. In den vergangenen Jahren stießen die Forscher immer wieder auf Arten, die sich jahrelang in ihrer neuen Umgebung aufhielten, ohne besonders in Erscheinung zu treten, um dann mit aller Macht zuzuschlagen. „Sie führen ein Dasein wie Undercoveragenten und setzen plötzlich eine unvorstellbare Reproduktionsmaschinerie in Gang. Wir wissen nicht, wie viele derartige Zeitbomben wir hier haben, und wir kennen auch den Auslöser für die Explosion nicht“, sagt Tresher.

Die an der europäischen Atlantikküste heimische gewöhnliche Strandkrabbe (Carcinus maenas) ist eine dieser „Undercoveragentinnen“. Die Krabbe tritt an bestimmten Orten Australiens in riesiger Zahl auf und hat lokale Schalentierpopulationen fast ausgerottet. Die Recherchen des Instituts ergaben, dass Carcinus maenas vermutlich vor 150 Jahren in die Port Phillips Bay bei Melbourne – das größte australische Hafengewässer – kam. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Strandkrabbe erstmals auffällig. Sie vermehrt sich seitdem stark und sucht ständig neue Küstenregionen heim.

Bislang scheiterten alle Bemühungen der Wissenschaftler, die Ausbreitung der Plagegeister zu stoppen. Versuche, die Krabben mit deren natürlichen Feinden, tödlichen Parasiten aus dem Nordpazifik, zu infizieren, wurden wieder abgebrochen. „Laborversuche zeigten, dass die Mikroorganismen bei der Wahl ihrer Wirte nicht sonderlich wählerisch sind und auch einheimische Krustentiere befallen“, sagt der Meeresbiologe Nic Bax, der am Crimp die Entwicklung von Abwehrmechanismen gegen eingeschleppte Schädlinge koordiniert. Ähnlich problematisch sei der Einsatz von Giften. Eine chemische Verbindung, die gezielt die gewöhnliche Strandkrabbe außer Gefecht setzt, gebe es nicht. Auch die einheimischen Meerestiere würden ein Opfer der chemischen Keule, die deshalb nur in geschlossenen Systemen eingesetzt werden könne.

Bislang packten die Wissenschafter die Giftspritze nur einmal aus. Als die schwarz gestreifte Miesmuschel (Mytilopsis sallei) im März 1999 in einem Nebenhafen der Stadt Darwin gesichtet wurde, herrschte am Crimp Alarmstufe rot. Innerhalb eines halben Jahres nach ihrem ersten Auftreten wurden bis zu 26.000 Tiere pro Quadratmeter gezählt.

Die Muscheln verdrängen nicht nur einheimische Arten, sondern dringen auch in die Kanalisation ein und können diese zerstören. In den USA habe, so Bax, eine nahe Verwandte der Miesmuschel, die Zebramuschel, bereits Schäden in Höhe von drei Milliarden US-Dollar verursacht.

Die Forscher sperrten den Hafen in Darwin mit Schleusen ab und versetzten das Wasser mit einer Mischung aus 120 Tonnen Chlor und Kupfersulfat. Drei Wochen lang blieb der Hafen abgeriegelt, danach lebte darin nichts mehr. Anschließend wurde die stark verdünnte Giftbrühe ins Meer abgelassen. Doch Bedingungen wie in Darwin finden die „Kammerjäger der Meere“ kaum einmal vor. In der Regel sind sie mit offenen Systemen konfrontiert, die keinen Gifteinsatz zulassen. Nic Bax hofft deshalb bei der Bekämpfung invasiver mariner Lebewesen auf die Gentechnologie. „Eine Möglichkeit wäre, eine Population mit manipulierten Artgenossen zu unterwandern, die nur unfruchtbare Nachkommen zeugen können.“ Doch was im Labor bereits gut funktioniert, macht auf See noch Probleme. Das Unfruchtbarkeitsgen bringt keinerlei Selektionsvorteil für die Muscheln und verschwindet mit dem Tod der Nachkommen wieder. Dies stellt die Forscher derzeit noch vor unlösbare Probleme und lässt Bax träumen. „Wir benötigen einen hohen Durchseuchungsgrad mit dem manipulierten Erbmerkmal. Die Sterilität darf also erst eintreten, nachdem fast alle Mitglieder der Population mit dem Unfruchtbarkeitsgen infiziert sind.“

Die Entwicklung des Wundergens lässt jedoch noch auf sich warten, und so konzentrieren sich die Forscher im Moment auf konventionelle Lösungsansätze. So soll das Ablassen des Ballastwassers in Küstennähe verboten werden, und die Einwanderer so abgefangen werden, bevor sie die australischen Küstengewässer erreichen. Die meisten der eingeschleppten Organismen sind nicht an ein Leben auf hoher See angepasst und sterben dort relativ schnell ab. Andere Maßnahmen wie das Sterilisieren oder Abfiltrieren des Wassers in den Schiffstanks wurden aus Kostengründen wieder verworfen.

Größere Organismen, die es dennoch an Land verschlägt, könnten, so Bax, in einem frühen Stadium mit Fallen gezielt abgefangen werden. „Außerdem versuchen wir den Fischern klar zu machen, dass sie ihre Fischabfälle draußen auf dem Meer entsorgen sollen, um das Futterangebot im Hafen nicht zu erhöhen.“

Zu schaffen macht den Meeresbiologen am Crimp aber nicht nur das Ballastwasser. „Vor allem Boote aus Holz sind ein Problem. Die Rümpfe sind häufig nicht oder nachlässig mit Antifouling behandelt und ziehen alle möglichen Meeresfrüchte geradezu magnetisch an“, sagt Nic Bax. In Brisbane und Darwin würden deshalb Boote und Schiffe aus Holz sogar von Tauchern nach verdächtigen „Einwanderern“ abgesucht.

Dennoch: Die Maschen des Sicherheitsnetzes werden nie eng genug sein, um alle fremde Organismen abzufangen. Vor allem Algen und Wasserpflanzen stellen die Wissenschafter am Crimp vor unlösbare Probleme. Zumal sich auch unter der Meeresflora zahlreiche, für einheimische Tier- und Pflanzenarten hochgefährliche Organismen befinden, wie etwa der japanische Seetang Undaria pinnatifida. Das bis zu drei Meter lange, braune Gewächs gelangte nach einer Odyssee um die ganze Welt auch nach Australien. 1971 wurde Undaria mit japanischen Austern an die französische Mittelmeerküste eingeschleppt. Von hier aus wurde der Tang nach Großbritannien, Argentinien und Neuseeland weiter verschifft, bevor er 1988 erstmals vor Australien auftrat.

Undaria sei, so Bax, hoch invasiv und verdränge einheimische Algen komplett. Ihre Präsenz könne zudem für pflanzenfressenden Fische dramatische Konsequenzen haben, weil sie deren Nahrungsgrundlage zerstöre.

Was die Algenart anrichten kann, zeigt sich jeden Sommer an der tasmanischen Ostküste. Vor Maria Island kommt es dann zur Algenblüte. Auf hunderten von Quadratkilometer wächst auf dem Meeresboden ein Tangwald, eine Monokultur bestehend aus Undaria pinnatifida.

Doch was den Wissenschaftlern am Crimp Sorgen bereitet, freut Graham Hills. Der Architekt und Hobbytaucher entdeckte den Tangwald Anfang der 90er-Jahre. Er erkannte sofort das wirtschaftliche Potenzial seines Fundes, denn Wakame, wie die Alge in Japan genannt wird, ist nicht nur ein in Asien äußerst beliebtes Nahrungsmittel, sondern auch für die Pharmaindustrie von Interesse. 74 Tonnen getrockneten Tang exportierte Hills Firma „Marine Resources“ im vergangenen Jahr in die USA, wo die Alge zu medizinischen Zwecken weiterverarbeitet wird.