Niemand sonst, weltweit

■ Die Jahrhundersängerin Cecilia Bartoli bringt die Glocke zum Klingen

Vor fünf Jahren wusste Cecilia Bartoli noch nicht, wo Bremen liegt. Nun hat sie zum dritten Mal hier ein Konzert gesungen, im vergangenen Jahr sogar ihr einziges in Deutschland – dank des Einsatzes der Geschäftsführerin der Glocke, Ilona Schmiel, die es geschafft hat, die mit 30 Millionen Mark sanierte Glocke zu einem international anerkannten Konzertort zu machen. Bartoli liebt das Bremer Publikum. Welche Fans sie hier hat gewinnen können, wurde bei ihrem dritten Konzert erneut klar: mit Arien von Caccini bis Gluck.

Bartoli ist bekannt dafür, dass sie Bibliotheken durchforstet und dass sie konzeptionell geschlossene Programme macht. In ihrem ersten Konzert waren es vergrabene Erstdrucke von Antonio Vivaldi aus der Turiner Bibliothek, in ihrem zweiten Josef Haydns „Orfeo ed Euridice“ nun „Le Musiche Nuove“. Unter diesem Titel präsentierte sie die solistische Musik des Erfinders der „Monodie“ um 1600, Guilio Caccini, dann Claudio Monteverdi mit seiner expressiven Affektkunst, Antonio Vivaldi mit emotionsgeladenen Koloraturen und Christoph Willibald Gluck mit seinem Versuch, den italienischen mit dem französischen Deklamationsstil zu verbinden.

Wie soll man die Kunst der Bartoli, die als Kind von ihren professionell singenden Eltern unterrichtet wurde, eigentlich noch beschreiben? Denen, die nicht da waren, ist das Wunder nicht vermittelbar, was diese Jahrhundertsängerin kann. Und die, die da waren, die wissen es ohnehin. Es gibt heute niemanden auf der Welt, der oder die derartig in der Lage ist, aus einer virtuos gezierten Koloraturarie einen Ausdruck tiefster Existenzialität zu machen. Und es gibt niemanden, der seine Stimme über das Pianissimo hinaus in ein tragfähiges Hauchen führen kann, das sich als Trauer und Seufzen überträgt – bei manchen bis zu den Tränen. Und es gibt niemanden, der seine unbezähmbare Lust am Vorzeigen seines Könnens so offenlegt. Oder der den Eindruck einer derart schweren Technik so meilenweit hinter sich lassen kann, als handele es sich um ein Kinderspiel.

In den letzten Konzerten gab es eine geringfügige Gefahr, die Koloraturen sozusagen herauszunehmen, als Block für sich zu setzen, nicht angebunden an die Musik regelrecht herauszukatapultieren. Das war dieses Mal völlig gebannt. Großzügig gewährte Bartoli vier Zugaben nach einem langen Abend, der wesentlich von der kongenialen Gestaltung ihrer BegleitmusikerInnen geprägt war: die ebenso eigenständige wie flexible nachgebende Kammermusikgruppe „Le Musiche Nuove“.

Ob Bartoli wiederkommt, steht allerdings in den Sternen. Sie weiß, dass sie hier enorm erwünscht ist und Bremen hat den Vorteil, dass die Sängerin die Akustik des großen Glockensaales für eine der besten der Welt hält.

Und noch einmal zurück zum Anfang: Ilona Schmiel hat seit ihrem Amtsantritt vor vier Jahren alles dafür getan, aus dem Konzerthaus Glocke ein internationales Haus zu machen. Es ist ihr gelungen, aber das hat seinen Preis. Bartoli – und andere auch – singt nicht für einen Hamburger. Die Zuständigen der Hanseatischen Veranstaltungs GmbH und auch die Wirtschaftsbehörde waren nicht offen für die Argumentation, ein solches Haus gehöre großzügig ausgestattet, um im internationalen Konzertgeschäft eine Rolle zu spielen. So nimmt Ilona Schmiel zu Recht ihren Hut, und weit und breit ist niemand zu sehen, der sich bereit erklären könnte, die politisch gewünschte Aufgabe der Glocke – lediglich ein Raumvermietungsgeschäft – durchzuführen. Gute Nacht Kulturhauptstadt.

Ute Schalz-Laurenze