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Inszenierung von „uns“ und „denen“

■ Rassistischer Alltag weitgehend ausgeblendet: Die Tagung „,Fremde' in Hamburg“ verzichtet bewusst auf kritische Ansätze

Adelheid von Saldern hält die aktuelle Ausgabe des Abendblatts hoch, in der von einer Polizeiaktion gegen Dealer am Hamburger Hauptbahnhof berichtet wird. „Darunter auch viele Ausländer“, fügt die Historikerin aus Hannover hinzu und geht kommentarlos dazu über, das erste Panel der Konferenz „'Fremde' in Hamburg, fremd sein in europäischen Städten“ vorzustellen.

Zwei Tage lang erzählten am vergangenen Donnerstag und Freitag HistorikerInnen, PädagogInnen und EthnologInnen im Aby-Warburg-Haus Geschichten über Wahrnehmung und Erfahrung von „Fremden“, meist jedoch, ohne die Verhältnisse zu thematisieren, die sie zu Fremden machten. Angelika Eder von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg hat die Konferenz organisiert; sie betont, dass Fremde im Titel in Anführungszeichen stehen. Die Gruppen, von denen hier die Rede ist, seien nicht „wirklich“ Fremde, das sei natürlich ein Konstrukt. Die eigene Definitionsmacht über das Fremde hinterfragt Eder dennoch nicht: Die kulturellen Praktiken bleiben Indikatoren für ein „fremd sein“.

Andrea Klimt, Historikerin aus den USA, hingegen zeigt, dass MigrantInnen auch ganz andere Entwürfe transnationaler Identität leben. Weil die europäische Integration es den Portugiesen nun erlaubt, verbringt die zweite Generation portugiesischer Einwanderer einen Teil ihres Lebens in Hamburg und einen anderen in Portugal, eignet sich also beide lokalen Räume gleichermaßen an. Deutsche Staatsbürger wollen sie hingegen nicht werden, was in der Diskussion auch prompt problematisiert wird: Da spiele wohl die Erinnerung an den Nationalsozialismus eine Rolle. Der rassistische Alltag in Deutschland wird wieder ausgeblendet.

Anstatt die Anordnung von Fremd und Eigen zu analysieren, wird sie in vielen Beiträgen einfach übernommen. Die OrganisatorInnen haben in ihrer Konzeption bewusst nicht an die kritischen Ansätze angeknüpft, die seit der Konferenz über „Migration und Rassismus“ 1991 in Hamburg erarbeitet wurden. „Zu theoretisch“, meint Angelika Eder. Dabei hat Ulrich Bielefeld in „Das Eigene und das Fremde“ schon vor zehn Jahren kritisiert, was sich hier noch einmal exemplarisch wiederholt: der Begriff „Rasse“ wird mit der NS-Zeit identifiziert und für die Gegenwart zum Tabu erklärt. Rassismus wird damit nicht historisiert, neue Rassismen bleiben unbenannt, das Fremde wird nicht als Effekt, sondern als Ursache von „Fremdenfeindlichkeit“ besprochen.

Erst am zweiten Tag kritisieren einige Vorträge den „verfremdenden Blick der Wissenschaften“ und nehmen offensiver eine Perspektive des migrantischen Widerstands ein. Sowohl dem Hamburger Ethnologen Martin Sökefeld als auch der US-amerikanischen Historikerin Fatima El-Tayeb werden dafür aber von Rainer Ohliger („Netzwerk Migration“ in Berlin) unterstellt, das Feld der „seriösen Wissenschaft“ zu verlassen, weil sie mit ihrer Arbeit Identitätspolitik betrieben. Dabei legt ihre Kritik gerade die politische Dimension der Zuschreibung und Aneignung von Identitäten offen.

Das Beforschen der „Fremden“ hat auf der Konferenz zwei Tage lang ein Verhältnis zwischen „uns“ und „denen“ inszeniert und damit selbst unhinterfragt Identitätspolitik betrieben. Was es bedeutet, von den Fremden zu sprechen und vom Rassismus zu schweigen, wurde auf der Podiumsdiskussion „Hamburg – Heimat für Fremde?“ am ers-ten Abend der Konferenz dann auch deutlich. Von Anführungszeichen war hier nicht mehr die Rede. Statt dessen wurde Aydan Özoguz, SPD-Abgeordnete in der Hamburger Bürgerschaft und Mitarbeiterin der Körberstiftung, von der NDR-Moderatorin Maren Puttfarcken mit „Sie als Fremde...“ vorgestellt.

Zwei Stunden lang lamentierten Hamburger PolitikerInnen dann über den Rassismus in der Bevölkerung und schwiegen von den Effekten ihrer eigenen Politik. Die Einwanderungspolitik müsse der Bevölkerung auch vermittelt werden können, meint Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU). Damit wurde endgültig klar, dass es bei dem Gerede über die Fremden eigentlich um die Legitimierung des eigenen Rassismus geht.

Genau dafür lieferte die von der Körberstiftung ko-finanzierte Konferenz auch ihre „Impulse“, anstatt Geschichten des Widerstands gegen einen rassistischen Alltag zu erzählen, die eine Anordnung von Fremd und Eigen aufbrechen und den Integrationsimperativ als Strategie der Disziplinierung kenntlich machen. Astrid Kussner

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