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Superstars ohne Ego

Kanadas Eishockeyspieler schreiben ihren ersten Olympiasieg seit genau fünfzig Jahren nicht nur ihrer individueller Klasse, sondern vor allem ihrer unglaublich starken Mannschaftsleistung zu

aus Salt Lake City MATTI LIESKE

„Die Kanadier sind sehr stolz auf ihr Eishockey. Es ist ja auch das einzige Spiel, das sie können, außer vielleicht Curling“, scherzte US-Kapitän Chris Chelios, nachdem sein Team das olympische Finale mit 2:5 gegen die nördlichen Nachbarn verloren hatte. Wayne Gretzky, Direktor der siegreichen Mannschaft, meinte auf die Frage, was der erste Olympiasieg seit 1952 für die hockeyfanatischen Menschen in der Heimat bedeute, lakonisch: „Es gibt ihnen für eine Weile was zu prahlen.“ Besonders zufrieden mit dieser Entwicklung war Stürmer Joe Sakic, nicht nur, weil er mit zwei Toren und zwei Assists im Finale der Goldschmied seines Team gewesen war und außerdem zum besten Spieler des Turniers gewählt wurde, sondern auch, weil er nun endlich seinem schwedischen Teamkollegen Peter Forsberg bei den Colorado Avalanche das Maul stopfen kann: „Er hat 1994 Gold gewonnen und uns das ständig unter die Nase gerieben. Es ist schön, mit ihm gleichzuziehen.“

Der Stolz der Kanadier auf ihren Nationalsport hat vor allem in den letzten zehn Jahren schwere Schläge einstecken müssen. Die NHL-Klubs aus Winnipeg und Quebec zogen in die USA, die verbliebenen Teams darben, 1992 und 1994 gab es nur olympisches Silber, 1998 verlor das mit lauter NHL-Superstars gespickte Team um Hypersuperstar Wayne Gretzy im Halbfinale den Shoot-out gegen die Tschechen. Zu allem Überfluss ging sogar der renommierte World Cup 1996 an die USA, die zweimal die Dreistigkeit besaßen, in Montreal zu gewinnen. Auch das Turnier in Salt Lake City hatte für die Kanadier denkbar schlecht begonnen: Beim 1:5 gegen Schweden wirkten sie wie desorientierte Grizzlybären, die man aus Versehen im brasilianischen Regenwald ausgesetzt hat, und waren für ein paar Tage beliebtes Objekt für schadenfrohes Gespött. doch dann kamen sie von Spiel zu Spiel besser mit den internationalen Regeln zurecht, gegen die USA waren sie perfekt disponiert. „Alle haben ihre Egos beiseite gelegt, und wir sind zu einem echten Team geworden“, meinte Joe Sakic. Eine Einschätzung, die dadurch gestützt wird, dass zwar mit Richter, Chelios, Leetch und LeClair vier US-Spieler ins olympische All-Star Team gewählt wurden, aber mit Sakic nur ein Kanadier. Sechster im Bunde ist der Schwede Sundin.

Dabei haben die Kanadier alles, was eine großartige Eishockeymannschaft braucht: Torgefährliche Puckästheten wie Sakic, Yzerman, Kariya, ein Genie wie Mario Lemieux, einen soliden Keeper mit Martin Brodeur, Defensivbollwerke wie Pronger, MacInnis oder Blake, einen raufboldigen Giftzwerg in Theo Fleury und eine echten Kotzbrocken mit Eric Lindros. All das setzten sie am Sonntag ein, um das offensivstarke US-Team fast das ganze Match über in die Defensive zu drängen. „Wir wollten den Puck in ihrem Drittel halten, und Lindros sollte sie ein bisschen rumschubsen“, erklärte Gretzky, „das hat gut geklappt.“ Dies erkannte auch Chris Chelios an: „Sie haben heute ihr bestes Spiel hier geliefert, wir leider nicht.“ Das 4:2 durch den halben Nigerianer Jarome Iginla nach glänzender Vorarbeit von Sakic beendete den verzweifelten Ansturm der USA im Schlussdrittel, brachte deren Fans im E-Center zum Verstummen und rief die vielen kanadischen Anhänger auf den Plan, die bis zur Schlusssirene selig „O Canada“ sangen.

Das Finale bot wie fast alle Matches der Endrunde fantastisches Eishockey, was nicht nur an der Vollversammlung der NHL-Stars in den sechs großen Teams Kanada, USA, Russland, Tschechien, Schweden und Finnland lag, sondern auch an der größeren Eisfläche und der fehlenden roten Abseitslinie. Selbst die amerikanischen Cracks freundeten sich nach anfänglichen Problemen mit diesen Bedingungen an, die rasante Konter und Kombinationen begünstigen. „Das ist ein Knaller“, sagte US-Stürmer Brett Hull zu dieser Art Eishockey, die den technisch guten Spielern mehr Raum lässt, ihre Qualitäten auszuspielen. „Das zusätzliche Eis wirkt Wunder bei solchen versierten Leuten“, sagte Kanadas Defensivmann Brewer. Schon häufen sich Stimmen, die fordern, in der NHL wenigstens die rote Linie abzuschaffen, um mehr Dynamik und Spielfluss zu kreieren. Doch die Liga tut sich schwer mit der Internationalität.

Im Moment wird sogar mit dem Gedanken gespielt, in vier Jahren keine NHL-Leute zu den Spielen in Turin zu schicken. Ein Vorhaben, das ziemlich alle, die diesmal dabei waren, absurd finden. „Die Spieler genießen es, und ich finde, es war nichts als positiv“, sagt US-Keeper Mike Richter. „Es ist ein Schaufenster und auch ein gutes Geschäft für die NHL“, ist Herb Brooks, Coach der USA, überzeugt. Sein kanadischer Kollege Pat Quinn meint sogar, Olympische Spiele seien „größer geworden als die NHL“. Was Joe Sakic nicht daran hinderte, sich wieder dem Alltag zuzuwenden. Stanley-Cup-Sieger, Weltmeister, Olympiasieger – ob überhaupt noch Ziele übrig seien, wurde er gefragt. Antwort: Mehr Stanley Cups gewinnen. Und: Wenn es geht, noch mehr Gold für Kanada. Schließlich besteht Nachholbedarf.

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