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Irgendwo da draußen

Auf zu den Vorvätern der Menschheit: Seit dem Ende des Kalten Krieges steckt die bemannte Raumfahrt in der Legitimationskrise. Hotels im All und Astronauten-Spielshows sollen das ändern. Wir sind nicht allein – diese Maxime wird zum Aufbruchsignal für die private Nutzung des Weltraums

Die Beantwortung einer Frage ist kompliziert: wozu das alles?

von RONALD DÜKER

Am Morgen des 31. Oktober 1998 weckte die Nasa die Besatzung der Raumfähre „Discovery“ mit einem Evergreen: Louis Armstrong sang „What A Wonderful World“. Fraglich, ob dies den Musikgeschmack der ganzen Crew traf, aber zumindest einer der Astronauten dürfte sich in diesem Moment an die Tanzveranstaltungen seiner Jugend erinnert haben: John Glenn, 77, der älteste Astronaut aller Zeiten.

Am 20. Februar 1962 hatte Glenn schon einmal die Atmosphäre verlassen. Als einziges Besatzungsmitglied an Bord der Raumkapsel „Friendship 7“ umkreiste er dreimal die Erde, um nach vier Stunden und 55 Minuten wohlbehalten in der Nähe des Bermuda-Atolls im Pazifik zu landen. Schade nur, dass ein Jahr zuvor Juri Gagarin schon einmal in den Weltraum aufgebrochen war. Ausgerechnet ein Russe! Die ersten bemannten Flüge ins All waren vom Überbietungswettbewerb des Kalten Krieges diktiert, von friendship konnte nur bedingt die Rede sein.

Die Zeiten haben sich geändert, wenn der 77-jährige Glenn zu den Klängen von Armstrongs pazifistischer Hymne einen Blick aus dem Fenster der „Discovery“ – etwa vorbei an seinem japanischen Kollegen – geworfen haben mag, wird ihm der blaue Planet in einem anderen Licht erschienen sein. Glenn war Mitglied einer siebenköpfigen Crew verschiedener Nationalitäten und die STS-95-Mission längst nicht mehr als Kampfansage an einen verfeindeten Staat zu verstehen.

Sorgen haben aber auch die Astronauten der Gegenwart. Die bemannte Raumfahrt hat nicht zuletzt durch das Ende des Kalten Krieges ein Legitimationsproblem. Durch den wissenschaftlichen Forschungsbedarf allein ist es kaum noch zu lösen. Allerdings drängen längst kommerzielle Unternehmen in die entstandenen Finanzierungslücken. John Glenn war in dieser Hinsicht ein Versuchskaninchen: An ihm wurden geriatrische Tests vorgenommen, die der bemannten Raumfahrt eine gesundheitliche Unbedenklichkeitserklärung ausstellten. Auf ihrer Basis startete im letzten Jahr der erste Tourist, der rüstige Rentner namens Dennis Tito, mit einem Sojus-Flug ins All. Ausrichter dieser Expedition: die von den Niederlanden aus operierende Firma MirCorp, ein Zusammenschluss westlicher Geldgeber mit dem russischen Unternehmen RSC Energia (SP Korolev Rocket & Space Corporate Energia), das nichts anderes ist als die ehemalige Luft- und Raumfahrtagentur der Sowjetunion, verantwortlich unter anderem für das Sputnikprojekt und Gagarins Erdumkreisung.

MirCorp entwickelt neuerdings rein kommerzielle und privatwirtschaftlich finanzierte Raumfahrtprojekte. Nachdem die Station „Mir“ planmäßig in der Atmosphäre verglühte, sitzen die russischen Planer nun über Szenarien, die noch vor kurzem nach reiner Science-Fiction geklungen hätten. Im Jahr 2004 soll die erste private Raumstation, „Mini Station 1“, eröffnet werden, sie könnte als extraterrestrisches Hotel, als Basis für Werbung im All und Medienaktivitäten verschiedenster Art dienen. Bis dahin müssen Weltraumtouristen sich mit Sojus-Flügen zur internationalen Raumstation „ISS“ begnügen, für die Dennis Tito der Präferenzfall gewesen ist. Demnächst will ein südafrikanischer Internetunternehmer und Multimillionär mit dem sprechenden Namen Mark Shuttleworth einen solchen Flug angehen. Er wird der erste Afrikaner im All sein.

Es ist das Ende des Kalten Krieges, das solche Ausflüge erst ermöglicht. Mit dem Verlust des ideologischen Feindes ist aber zugleich der Adressat von Flügen ins All abhanden gekommen. Weltraumtouristen müssen sich da draußen ziemlich einsam fühlen. Denn anders als einem Astronaut im Auftrag von Staat und Forschung ist dem Privatreisenden unter Umständen nicht klar, wonach er Ausschau halten soll auf seiner Expedition ins Niemandsland des Alls. Offenbar um dem kosmischen Horror Vacui zu entgehen, hat MirCorp im Verbund mit der amerikanischen Produktionsfirma Image World Media (IMI) ein Programm entwickelt, das nicht nur die Mattscheibe des Weltalls, sondern auch die des daheim gebliebenen Fernsehkonsumenten bespielen soll. Denn nicht nur die Finanzierung der Raumfahrt ist komplizierter geworden, auch die Beantwortung der Frage: wozu das alles?

Die geplante Game-Show „Ancient Astronaut“ greift aus diesem Anlass tief in die Mottenkiste der Esoterik. Ihren Hintergrund bildet eine Dramaturgie, an die seit langem eine weltweit vernetzte Gemeinde so genannter Präastronautiker glaubt: Es geht darum, dass die Erde immer schon Besuch von Außerirdischen erhalten haben soll. Die Besucher, so geht die große All-Story weiter, hätten ihre Spuren hinterlassen, Orte wie die Pyramiden von Gizeh, die Felsplateaus im peruanischen Nazca oder die Monolithen von Stonehenge ließen sich als Sternkarten lesen, die uns den Weg zu den Mitbewohnern des Universums weisen. Präastronautiker zitieren gerne den Raketenbaumeister Wernher von Braun, der außerirdisches Leben zumindest nicht für unwahrscheinlich hielt. Vor allem aber beliefern sie die Szenarien der Science-Fiction-Filme, etwa in Luc Bessons „Das fünfte Element“ oder Roland Emmerichs „Stargate“. Emmerichs Film von 1994 zeigt die Hieroglyphen in Gizeh als Wegweiser zu einer Exkursion in Richtung eines fernen Planeten mit erdähnlicher Atmosphäre.

In Zeiten, in denen die bemannte Raumfahrt sich anschickt, esoterische Szenarien ihrer quasiexperimentellen Verifizierung zuzuführen, kann es nicht verwundern, dass sogar ein alter Hut wie der Autor Erich von Däniken noch einmal zu unerwarteter Konjunktur kommt. Im schweizerischen Interlaken eröffnet im November dieses Jahres von Dänikens „Mystery Park“. Das zurzeit im Bau befindliche Gelände mutet an wie eine gigantische, zu Füßen von Jungfrau, Mönch und Eiger niedergegangene Raumstation. Hier gibt es alles, was das Herz eines Präastronautikers höher schlagen lässt: ein Themen- und Vergnügungspark, der seine Lieblingsthesen unter einem riesigen Aufgebot von multimedialem Hokuspokus derartig überzeugend aufbereiten will, dass noch den notorischsten Skeptikern die Zweifel vergehen sollen. Touristen im All dürfen sich dann so fühlen, als besuchten sie die Gründerväter der Menschheit.

Auch die Game-Show „Ancient Astronaut“ entlehnt ihr Drehbuch direkt den Theorien der Präastronautiker. Zunächst werden fünf Kandidatengruppen, bestehend aus Spielern verschiedener nationaler Herkunft, an fünf einschlägigen Orten ausgesetzt – unter anderem in Gizeh, Nazca und Stonehenge. Dort müssen sie antike Sprachen entziffern und sich mit einfachsten Werkzeugen an die Rekonstruktion der entsprechenden Bauwerke machen, was ein Verständnis der schon zu ihrer Entstehungszeit vorwaltenden Mysterien beinhalten soll. Die fünf Sieger der jeweiligen Gruppen werden dann nach Russland geschickt. In Star City bei Moskau – einem internationalen Ausbildungs- und Trainingscamp für Astronauten – durchlaufen sie das übliche Vorbereitungsprogramm für bemannte Raumflüge; aus diesen Übungen geht der endgültige Sieger hervor. Nur er unternimmt an Bord einer Sojus-Raumkapsel einen dreitägigen Flug zur internationalen Raumstation „ISS“, bevor ihn nach seiner Rückkehr auf die Erde eine riesige Party und ein Geldgewinn in Millionenhöhe erwartet.

Und noch ein Zuckerle winkt dem Narzissmus des Siegers: Neben allen Gewinnen wird im All eine Kapsel ausgesetzt, die sich als kosmische Flaschenpost direkt an die Außerirdischen richtet. Sie enthält ein Sample der DNA des Showgewinners, der sich auf diesem Weg seiner zukünftigen Klonung zur Verfügung stellt, außerdem persönliche Gegenstände, die er selbst bestimmen darf, und repräsentative Zeugnisse menschlicher Kultur: Pröbchen aus den Bereichen Literatur, Kunst, Entertainment und Technologie. Diese Kapsel funktioniert analog zu den vermeintlichen Sternenkarten in Gizeh. Wird sie von den Außerirdischen der Zukunft gefunden, so ist der Gewinner einer Game-Show in diesem Moment selbst zum „Ancient Astronaut“, zum frühzeitlichen Astronauten also geworden. Das ist das eigentliche Ziel des Spiels.

Der Countdown läuft: Man kann sich bereits als Kandidat für die Sendung bewerben, die ab 2003 zur Primetime auf Sendung gehen soll (contestant@imageworldmedia.com). Potenzielle Kandidaten müssen sich allerdings ausgiebigen Tests unterziehen, und zwar nicht nur körperlichen. IMI hat einen Tugendkatalog aufgestellt, der für eine Teilnahme an der Sendung maßgeblich sein soll: verbale Intelligenz, Tapferkeit, Mitgefühl, künstlerisches Ausdrucksvermögen, Intuition, physische und psychische Kontrolle – die Kandidaten aus aller Welt sollen, laut IMI, exemplarische Prachtstücke des ganzen Menschengeschlechts sein.

Als hätte die Nasa bereits 1998 geahnt, welchen Spuk sie mit der Glenn-Mission lostreten würde, weckte sie die Astronauten nach einer Woche an Bord der „Discovery“ mit einem Stück der Moody Blues: „I Know You’re Out There Somewhere.“

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