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Souveräne Verweigerung

Sebastian Deisler lässt einen Pressetermin in normalen Tennissocken über sich ergehen und stellt vage in Aussicht, bei der WM in Japan und Südkorea nicht dabei zu sein, weil er noch nicht fit ist

aus Berlin MARKUS VÖLKER

Als Sebastian Deisler aus seinen schweren Caterpillar-Schuhen in die Adiletten steigt, ist sie wieder da, die Deislerità, die Rückeroberung des radikal privaten Moments im Sport, ein Phänomen, auf das zuerst die Wochenzeitung Die Zeit einging. Die Geheimnisse von Deislers Füßen werden an diesem Abend mittels „dynamischer Fußvermessung“ ergründet. Deisler trottet in schwarzen Socken zum Messgerät. Er braucht dringend eine „Stütze im medialen Fußbereich“, stellt sich alsbald heraus. Der 22-Jährige hat es zudem „lieber etwas enger um die Zehen“. Und im Joggingschuh trägt „das Jahrhunderttalent“ (Welt), man glaubt es kaum, „normale Tennissocken“.

Normalerweise ist es ja so: „Wenn er verletzt ist, gibt er keine Interviews“, sagt Deislers Spieleragent Jörg Neubauer. Eigentlich. „Aber das ist hier mal ’ne Situation, wo man sich präsentieren kann.“ Die Momente, in denen sich die Deislerità offenbart, werden rar. Die radikal privaten Momente will Deisler für sich allein, hat er beschlossen. „Wir probieren das auszuwägen“, erklärt Neubauer.

Bei der Präsentation des WM-Schlappens von Adidas („Predator Mania“, 165 Euro) ist Deisler mit dabei. Man trifft sich im Berliner Spreespeicher, und Deisler schaut aus, als hätte er sich gerade vom Sofa erhoben. Er trägt ein blaues Sweatshirt mit Firmenlogo und eine Jeans, die seine Mutter im badischen Lörrach wohl sofort in die Waschmaschine stecken würde. Am Kinn sprießt ein Dreitagebärtchen.

Immerhin: Er ist da, zeigt sich – und verweigert sich dennoch souverän. „Sobald die Öffentlichkeit ihn herausragen sehen will, wäre er am liebsten unsichtbar“, so beschrieb der Spiegel ein Symptom der Deislerità. In dem Augenblick, wo er gemerkt haben muss, dass aus dem Fußballer Deisler, nun ja, die Legende Deisler zu werden drohte, stemmte sich der Mann mit dem „unersättlichen Spieltrieb, überragender Technik und präzisem Schuss“ (Kicker) gegen die Vereinnahmung der Öffentlichkeit.

Alle stellen sie, die dringende Frage: Wird er bei der Weltmeisterschaft dabei sein? „Ich will unbedingt dabei sein, aber nicht um jeden Preis“, antwortet er. Und als müsste er etwas gegen die Frage unternehmen, sagt er zunehmend mürrischer, dafür aber gleich dreimal: „Ich lasse mich nicht unter Druck setzen, von niemandem, auch wenn eine WM vor der Tür steht.“ Aus seinen Worten spricht die Bitte: Nehmt die Pistole von meiner Brust! Deisler dringlicher: „Ich lass mich nicht unter Druck setzen, ich weiß am besten, wie es meinem Knie geht. Wenn ich fit bin, bin ich fit.“ Und damit basta, gibt Basti zu verstehen.

Wobei: Vom Kosenamen will er nichts mehr wissen. „Ich will mich nicht mit solchen Sachen aufhalten.“ Dummerweise ließ Adidas zuvor einen Trailer laufen, in dem Deisler wieder Basti war. David Beckham hieß darin Becks. Auch Raul und Zinedine Zidane tauchten auf. „Das ehrt mich, wenn man mich so weit hoch ansiedelt“, spricht Deisler nach der Vorführung, „bis dahin ist es noch ein weiter Weg.“

Seine Verletzung, erlitten beim herbstlichen 0:4 in Hamburg, erklärt er dann, sei viel schlimmer als die aus dem Jahr 1999, als die Diagnose lautete: Kreuzbandanriss und Meniskusriss. Diesmal musste die Kniescheibe sogar „an einer Seite angenäht werden“. Erst in zwei Wochen steigt er ins Training von Hertha BSC ein. Bis er fit ist, sind vielleicht nur noch vier Saisonspiele drin, wenn überhaupt.

Reicht das für einen Einsatz in Rudi Völlers Truppe? „Meine Gesundheit geht vor“, sagt Deisler dazu. Er stehe nicht mit Völler in Kontakt. Nichtsdestotrotz werde es langsam wieder Zeit, dass er auf dem Rasen steht: „Ich will zurückkommen, zeigen, was ich kann.“ Über einen konkreten Termin schweigt sich Deisler aber aus. „Noch fehlt die Kraft in den Oberschenkeln.“ Noch sitzen ein paar Gramm zu viel an den Hüften. Ein erster Belastungstest endete wenig versprechend: Das Knie schwoll an. Wann er wieder „Flanken schlägt, die im Strafraum mit dem Effet eines Bumerangs herunterplumpsen“ (Stern)? Es bleibt ungewiss. Sicher ist hingegen: Das Phänomen der Deislerità wird uns auch in Zukunft beschäftigen.

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