: Atomstaat kontra Demokratie
100.000 Unterschriften gegen Atomendlager Krasnojarsk, aber trotzdem kein Referendum: Wahlkommission erklärte 90 Prozent der Stimmen für ungültig
MOSKAU taz ■ Mit einer Lektion in russischer Demokratie hat die Wahlkommission des sibirischen Gouvernements Krasnojarsk in der vergangenen Woche ihren Bürgern eine Abfuhr erteilt. Ohne die Mehrzahl von 100.000 Unterschriften auch nur gesehen zu haben, die Umweltorganisationen für die Durchführung eines Anti-Atom-Referendums gesammelt hatten, erklärte die Kommission 90 Prozent davon für ungültig. Das Volksbegehren sollte sich gegen die Lagerung und Wiederaufbereitung von Atommüll in der Region richten.
Bei Krasnojarsk befindet sich das „Bergbau- und Chemiekombinat Krasnojarsk 26“, das wichtigste Ziel für Atommülltransporte aus dem Ausland. Solche Importe waren bisher in der Russischen Föderation verboten. Doch im Sommer vergangenen Jahres gaben die Duma und Präsident Putin dafür grünes Licht. Von den 100.000 in der Krasnojarsker Region gesammelten Signaturen nahm die Wahlkommission überhaupt nur 40.000 in Empfang. Die Begründung: Laut Gesetz reichen 35.000 Befürworter für die Realisierung eines Referendums aus. Aus der akzeptierten Stichprobe erklärte die Kommission sodann 36.000 Stimmen, also 90 Prozent, für ungültig. Daraus wiederum zog sie den kühnen Schluss, dass auch von deren Gesamtzahl 90 Prozent ungültig seien. Die Initiatoren werden gegen diesen Beschluss vor Gericht klagen, doch viele fühlen sich tief entmutigt: „Demokratie und Atomenergie sind in Russland offenbar miteinander unvereinbar“, heißt es in einer Erklärung der Umweltorganisation Ecodefense.
Die Nichtanerkennung von Unterschriften gilt in der Russischen Föderation als beliebter Kunstgriff gegen unliebsame Bürgerbegehren. Bereits im Jahr 2000 hatten Umweltschützer landesweit zweieinhalb Millionen Unterschriften für ein Referendum zur gleichen Frage gesammelt. Davon wies die zentrale Wahlkommission in Moskau 600.000 zurück, und billigte somit gerade 100.000 weniger, als für die Durchführung notwendig gewesen wären.
Die Situation um die Krasnojarsker Aufbereitungsanlage verschärfte sich im November, als dort erstmals 41 Tonnen verbrauchten Brennstoffes aus Bulgarien eintrafen. Greanpeace Russland hat gegen diesen Import wegen Verletzung gesetzlicher Bestimmungen geklagt. Am 9. Februar diesen Jahres besetzten 600 aufgebrachte BürgerInnen die Bahnlinie zu der Wideraufbereitungsfabrik. Kurz darauf veröffentlichten der Duma-Deputierte Sergej Mitrochin, zwei Greenpeace-Aktivisten und ein Team des Kanals NTW ein von ihnen gedrehtes Video, das zeigt, wie sie am hellen Tage ungestört auf dem Gelände der angeblichen Hochsicherheitsanlage herumspazieren. Die Sechs berichteten, sie seien ohne Behinderung seitens der Wachtposten durch ein mannshohes Loch im Zaun eingedrungen und hätten sich auf offenbar von Einheimischen ausgetretenen Pfaden bewegt.
Auf einer Pressekonferenz sagte Mitrochin erschüttert: „Jeder, der möchte, kann direkt an diese Speicher mit extrem gefährlichem Material herangehen und dort treiben, was auch immer er will“. BARBARA KERNECK
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