: Lieber Kitsch als gar keine Gemälde
Kultur in Kabul (Folge 2): Afghanistans Nationalgalerie zeigt die vor den Taliban geretteten Ölgemälde und huldigt den Führern der Landes
Das Porträt von Achmad Schah Massud ist das in Kabul verbreitetste Bild. Der am vergangenen 9. September von mutmaßlichen al-Qaida-Schergen ermordete Militärführer der gegen die Taliban kämpfenden Nordallianz, der selbst blutige Hände hatte, hängt heute als Foto, Gemälde oder Teppich in allen Amtsstuben und an jedem Militärfahrzeug. Als kürzlich Kabuls Fußballmannschaft gegen Soldaten der internationalen Friedenstruppe spielte, schmückte ein riesiges Massud-Porträt das Stadion. Und wer seinen Laden vor Schutzgelderpressung durch die kriminellen Elemente der neuen Herrscher in Kabul bewahren will, spielt den Personenkult um den „Löwen vom Pandschir-Tal“ brav mit und hängt sich einen Massud ins Schaufenster.
Das Porträt des tadschikischen Warlords hängt selbstverständlich auch in der „Hall of Fame“, der Anfang Februar wieder eröffneten Nationalgalerie. Sie ist in einer Villa im Zentrum Kabuls untergebracht. Das zweistöckige Gebäude ist einer der besterhaltenen Altbauten der Stadt, wo sich zurzeit die größte öffentlich zugängliche Kunstsammlung der afghanischen Hauptstadt befindet.
Hier hängt Massud in Öl zwischen den letzten afghanischen Königen Amanullah samt Frau, Nadir Schah und Sahir Schah sowie den Franzosen Victor Hugo und Jean Jacques Rousseau. Erst kürzlich hinzugefügt wurde auch ein Porträt von Hamid Karsai, das ihn mit seiner typischen Lammfellkappe und dem charakteristischen Umhang zeigt, wofür er von der internationalen Modepresse auch schon mal als einer der elegantesten Politiker auf der Bühne der Weltpolitik gelobt wurde. Jetzt eröffnete der Chef der Interimsregierung die Galerie, die überwiegend Ölgemälde zeigt, höchstpersönlich. Damit wollte er deren bisher noch nicht bezahlte Mitarbeiter ermuntern, sich weiter für die Bewahrung, vor allem aber Förderung afghanischer Kunst einzusetzen.
Das ist auch nötig. Denn die meisten Bilder, die die Zerstörungen der Taliban überlebten, sind Kitsch. Der Vertreter des Kulturinstituts eines europäischen Landes, der sich in Kabul nach Wirkungsmöglichkeiten umsah, war darüber doch recht erschrocken. Kabuls kleine Kunstszene ist hingegen froh, dass sie wenigstens noch diese Bilder hat.
„Früher hatten wir 650 Gemälde aus Afghanistan und 220 aus dem Ausland“, sagt Galeriedirektor Abdul Fatah Adel. Viermal sei die Galerie ausgeraubt worden, immer von Soldaten unterschiedlicher Fraktionen. Adel will sie nicht benennen. Vielleicht waren unter den Kunstdieben auch Kämpfer von Massud. „Jetzt wissen wir noch gar nicht, wie viel Bilder wir haben, vielleicht noch halb so viele.“ 280 Bilder hätten die Taliban zerstört. Sie hatten die Abbildungen von Menschen und Tiere verboten, doch laut Direktor Adel zerstörten sie alle Arten von Bildern. „160 Gemälde haben wir retten können, den Rest haben wir noch nicht wieder gefunden.“ Dem Maler Yousef Asefi gelang es, mit abwaschbaren Wasserfarben Bilder zu verfremden und so vor der Zerstörung durch die Taliban zu retten .
Viele der in der Galerie ausgestellten Bilder zeigen Stillleben, Gebirgspanoramen und afghanische Basar- und Alltagsszenen. Auf einem Bild raucht ein Mann mit Turban eine Wasserpfeife, auf einem anderen trägt eine Frau ein Maschinengewehr. Eines der halb zerstörten Gemälde zeigt eine Kampfszene, in der Uniformierte auf Mudschaheddin schießen.
Bis 1995 habe es in der Galerie richtige Ausstellungen gegeben, sagt Direktor Adel. „Als die Taliban Kabul eroberten, hatten die Menschen kein Interesse mehr, seitdem waren wir praktisch geschlossen.“ Der heute 42- jährige Adel verlor seinen Job in der Galerie. Jetzt ist er dort Direktor, und um diesen Job machen zu können, hat er von zu Hause sein elektrisches Heizgerät und ein Telefon mitgebracht. „Wir wollen die Galerie für internationale Gäste attraktiv machen, für die internationale Welt der Galeristen“, träumt Adel. Mit einem für die meisten Einheimischen unerschwinglichen Eintrittspreis von fünf US-Dollar entspricht zumindest dieser schon dem Weltniveau. Bleibt zu hoffen, dass dieses Geld in die Förderung der Kunst und nicht in den Personenkult um Massud investiert wird. Sven Hansen
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