: Autonomie ist Fremdbestimmung
Der Begriff der weiblichen Selbstbestimmung spielt in der humangenetischen Praxis eine große Rolle – doch ist er eigentlich zu halten?
In Deutschland kann sich eine Frau künstlich befruchten lassen und zur pränatalen Diagnostik (PND) greifen, dem Gencheck im Mutterbauch. In anderen Ländern wie Belgien oder Großbritannien ist ihr auch die Präimplantationsdiagnostik (PID) erlaubt, der Gencheck am künstlich erzeugten Embryo in der Petrischale. Im US-Bundesstaat Kalifornien dürfen Frauen anderen Frauen Eizellen spenden und als Leihmutter Kinder austragen, sodass ein Kind im Extremfall eine genetische, eine biologische und eine soziale Mutter hat. Die Gentechnik verkauft all diese Angebote unter dem Gütesiegel des Selbstbestimmungsrechtes der Frau. Die Frau müsse selbst entscheiden können, so wird argumentiert, ob und wann und mit welcher Art von Embryo sie schwanger werde. Ganz nach dem feministischen Motto: „Mein Bauch gehört mir!“
Eine hochambivalente Entwicklung, befand die Soziologin und Gesundheitswissenschaftlern Ellen Kuhlmann bei ihrem Vortrag auf dem Berliner Kongress. Einerseits seien Frauen die Hauptakteurinnen einer neuen Technik, andererseits werde ihr Körper dadurch der „Austragungsort von Marktinteressen“ und sie selbst zu „Türsteherinnen, wer in die Gesellschaft eintreten darf und wer nicht“. Einerseits würden einige Frauen zweifellos von den Angeboten der Humangenetik profitieren, andererseits seien sie als Gesamtgruppe „nicht in der Lage, die Regeln des Spiels zu definieren“.
Was heißt überhaupt Autonomie? „Selbstgesetzgebung“, sagt das Lexikon, „die Fähigkeit, die Gesetze des sittlichen Handelns selbst zu bestimmen“. Ist der routinemäßige Ultraschall für werdende Mütter selbst bestimmt? Sind Tripletest und Fruchtwasseruntersuchung selbst bestimmt, wenn der Arzt jede Schwangere über 35 auf diese Möglichkeit hinweisen muss? Ist der grässliche Konflikt auf Leben und Tod des Embryos, in den jede Frau nach einem zweifelhaften Ergebnis gestürzt wird, etwa selbst bestimmt? Nein, fand die Humangenetikerin Sigrid Graumann, Mitglied der Enquetekommission Medizinethik. Im Namen des Rechts auf weibliche Selbstbestimmung würde das Recht auf weibliche Selbstbestimmung systematisch verletzt: „Die Tests führen die Schwangerschaftskonflikte doch erst herbei!“
Angesichts der gentechnischen Herausforderungen brauchte man eigentlich eine neue Definition von Selbstbestimmung, die die gesellschaftlicher Zurückbindung mit einschlösse, meinte Ellen Kuhlmann und versuchte deren Umrisse zu definieren: „Autonomie muss ihre Grenzen darin finden, dass andere Gruppen durch das eigene Verhalten geschädigt werden“ – in diesem Falle die Behinderten. In eine ähnliche Richtung ging auch der Psychologe Michael Wunder. Das Gefährliche an der gegenwärtigen Debatte sei, dass sie sehr leicht „vom pränatalen in den postnatalen Bereich überschwappen“ könne und die Behinderten selbst bedrohe. „Das Paradigma der Selbstbestimmung kann zur Unfreiheit der vielen Einzelnen führen.“
Wie da herauskommen? Durch eine umfassende humangenetische und psychologische Betreuung vor und nach solchen Tests, befanden sehr viele auf dem Kongress. Humangenetiker Schmittke wies auf den „Welttrend“ hin, dass gut Beratene viel weniger Gentests vornehmen lassen als Unberatene – ein deutliches Indiz dafür, wie viele Menschen in solche Tests hineinschlittern, ohne die Folgen zu bedenken. Sozialdemokratin Margot von Renesse stellte gar neue gesetzliche Regelungen für die ausgeuferte pränatale Diagnostik in Aussicht: Sie solle es ohne flankierendes Beratungsangebot nicht mehr geben.
Zeichnet sich also eine autonome Entscheidung, die ihren Namen auch verdient, durch die Abwägung umfassenden Wissens aus? Nein, letztlich ist auch das kein Ausweg, sondern eine Endlosschleife: Man benötigt immer noch mehr Information, um die erhaltenen Informationen bewerten zu können. Außerdem: Wo bleibt da das Recht auf Nichtwissen? „Vielleicht sind wir die letzte Generation“, meinte resigniert ein Diskussionsteilnehmer, „die unbeabsichtigt auf einem Autorücksitz gezeugt worden ist.“ UTE SCHEUB
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen