: Gar nicht schwer zu erklären
Wild wird es werden, so viel ist sicher: Warum ein 20-Jähriger die Strokes für die beste Band der Welt hält
Ein Taxi. Ein Taxi in der teuersten Stadt der Welt, ein Taxi in London. Bucklig, alt und schwarz. Ian und Sarah haben uns eingeladen, sie sind älter und haben Geld oder sind zu betrunken, um sich Gedanken zu machen. Draußen stolpern die bunten Freitagabendmenschen vorbei, beschleunigt, gedreht, bescheuert. Vielleicht liegt das aber auch nur an dem großen Krug Bier, den wir viel zu schnell trinken mussten, weil diese Idioten ihren Laden um elf schließen.
Der Fahrer öffnet die trennende Glasscheibe, fragt nach der genauen Adresse. „Villiers Street“. Ah ja. Chelsea Clinton soll heute da sein. Robins Augen sind ganz klein, grinsen aber Glück. Das Radio läuft, englischer Schnellsprachkauderwelsch, BBC one. Pause. Und dann, fein, genau richtig, jetzt. „Leave me alone, I’m in control, I’m in control, and girls lie too much, and boys act too tough, enough is enough.“
Was wäre das jetzt für eine Zeit, ohne Strokes und ohne Songs wie „Hard to explain“ oder „Is this it“? Es klingt hart, ist aber wahr: Es wäre nicht unsere Zeit. Es sind die Monate, vielleicht Jahre nach der Schule. Die Zeit ohne feste Pläne, heute hier, morgen da, an den spannendsten Plätzen, in bester Gesellschaft von Gleichgesinnten, die auch hungrig und unterwegs sind, mit oder ohne Geld. Die Strokes sind unser bester Reisebegleiter.
Ich bin 20 und genieße das Leben. Jetzt, milchig wird es noch früh genug. Ich will keine Texte mehr lesen, in denen ältere Menschen mit beleidigtem, gekränktem Unterton beweisen möchten, dass die Strokes Diebe sind und Julian, Albert, Nick, Nikolai und Fabrizio Style- und Musikerfindungen von den Talking Heads, Velvet Underground und Stooges klauen, sich hemmungslos bedienen bei früherer Jugend. Ich kann es nicht mehr hören, dass der Erfolg der Strokes ungerecht sei, weil es da Bands gibt, die es mehr verdient hätten und sowieso alles Marketing sei, kommerzgesteuerte Coolness für uns abgestumpfte Jugend. Ja genau, früher war alles besser. Soll das ernst gemeint sein? „Take it or leave it“, kann man diesen Leuten nur entgegenschmettern, die verdammt an manchen resignierten Altgrünen erinnern. Es ist mir vollkommen egal, ob die britische Musikpresse jubelt und der NME seine Auflage steigern möchte.
Was zählt, ist der Kick, in der vollen U-Bahn die Kopfhörer aufzusetzen, all den angestrengt zu Boden Starrenden zu entfliehen und laut „Oh, I don’t see it that way, I don’t see it that way“ zu hören. Es ist großartig, die Treppen zu einem unbekannten Keller hinunterzusteigen und schon an der Ecke „The Modern Age“ zu hören. Das kann nur gut werden. Bier, hemmungslose ältere Frauen und Jungs, die aus ihren großen überladenen Nike-Taschen ein zerlesenes Taschenbuch von Virginia Woolf ziehen. Ja, klar interessiert uns auch, was früher passiert ist. Wir sind fasziniert von Janis Joplin, kaufen für viel zu viel Geld alte ausgebeulte Kleidung und ein paar Stücke von Velvet Underground und Television haben wir uns im Plattenladen auch schon angehört. Gar nicht so schlecht.
Heute und jetzt aber sind die Strokes die beste Band der Welt. Ohne Zweifel – und man darf das auch laut sagen, sehr laut sogar, weil Liam Gallagher, Kopf von Oasis, der ehemals besten Band der Welt, das auch so sieht. Was Oasis den Neunzigern gegeben hat, geben uns die Strokes heute. Wer sich die Gähnveranstaltung Brit Awards angetan hat, weiß, wovon ich rede. „Last Night“ war der einzige Auftritt, der den Laden richtig gerockt hat.
Was da jetzt als Nächstes kommt? Die Zukunft kümmert, ehrlich gesagt, einen Dreck, sie ist fern, und wer weiß, was sein wird. Wir sind jung, und der Tag muss eine Überraschung sein.
Zurzeit reisen die Jungs durch Europa. Jede Woche ein anderes Land, jeden Tag eine andere Stadt, andere Clubs, Menschen, Mädchen, Biersorten. Schönes, geiles, aufregendes Lunaland. Es weckt auch unsere Lust am Reisen. Lust auf neue Mädchen, Jungen, Biersorten, Keller. Heute spielen die Strokes in Berlin ihr 50-Minuten-Set und einige neue Songs. Es werden viele liebe Menschen dort sein, und außerdem wird es wild. Eine wilde Nacht. So viel ist sicher. HENNING KOBER
Heute ab 21 Uhr, mit Stereo Total als Vorband, Columbiahalle, Columbiadamm 9–11, Tempelhof
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen