: Grüezi, liebe Schweizer!
Offener Brief an das knuddelige, Käse exportierende Land der wackeren Eidgenossen
Zu Ihrer Entscheidung, der UNO beizutreten, möchte ich Ihnen meine Glückwünsche aussprechen und Sie in der Völkerfamilie ganz herzlich willkommen heißen. Sie werden Ihre Entscheidung nicht bereuen und in der UNO viele schöne und unvergessliche Stunden verbringen. UNO – dieses Zauberwort setzt Emotionen frei und verheißt Aufbruch und Einmarsch zugleich. Ich kann mir vorstellen, dass Sie Ihrer ersten Begegnung mit der UNO bereits entgegenfiebern. Wie Sie vielleicht schon einmal gehört haben, hat sich jenseits Ihrer Landesgrenzen allgemein die Vorstellung durchgesetzt, dass der Planet Erde eine Kugel ist, auf der die verschiedenen Länder in so genannten Kontinenten angeordnet sind. Es gibt viele Länder auf dem Planeten Erde, verdammt viele.
Die UNO liegt auf dieser Kugel westlich von Bern, in einem Land, das USA heißt. USA dürfen Sie nicht mit UNO verwechseln, sonst sind alle beleidigt, wirklich alle. Die Stadt, in der die UNO ihren Sitz hat, heißt New York. New York ist ungefähr so groß wie die Schweiz. Wenn Sie erst einmal da sind, werden Sie sich deshalb schnell heimisch fühlen. Die Reise nach New York kann sich hinziehen, vor allem, wenn man keine Fluggesellschaft mehr hat, so wie Sie jetzt.
Die UNO war ursprünglich eine Gründung von Anhängern des beliebten Kartenspiels UNO (erschienen bei Mattel, kostet 7 Euro). Im Laufe der Jahre kamen immer mehr spielbegeisterte Menschen hinzu, und heute bietet die UNO in ihrem geräumigen Hauptquartier eine fantastische Auswahl an Spielen aus aller Welt: Memory, Halma, Stratego, Mau-Mau, Poker, Black Jack, Schach, Menschheit-ärgere-dich-nicht, Monopoly, Roulette, Kniffel und vieles mehr. Im Keller steht sogar eine Tischtennisplatte. Leider spielen dort immer die Chinesen. Um jetzt keine falschen Hoffnungen zu wecken: Sie können nicht alle zur UNO kommen. Das plebiszitäre Element ist weltweit noch völlig unterentwickelt, für 6 Milliarden ist das UNO-Haus auch zu klein.
Schicken Sie bitte einfach eine Delegation. Vielleicht ein paar Leute, die in Ihrem berühmten Kartenspiel, dem Jassen, gut sind. Das haben wir noch nicht. Wussten Sie, dass die Nebenform des Jassen, die auf den Färöer-Inseln gespielt wird, Lumbur heißt? Die UNO ist ein offenes Haus und es lässt sich nicht vermeiden, dass sich dort Menschen tummeln, die die Arglosigkeit neuer Mitglieder versuchen schamlos auszunutzen. Egal, was man Ihnen auf den Korridoren zuraunt oder mit der Post schickt: Zahlen Sie keine Beiträge.
Die UNO ist absolut kostenlos und niemand zahlt auch nur einen Rappen dafür. Alles andere ist Bauernfängerei. Zugegeben, die Frage wird diskutiert. Manche sagen, eine zweite Tischtennisplatte wäre doch keine schlechte Sache. Aber bis das nicht einstimmig beschlossen ist, gibt es keine Beiträge.
Wenn eine Resolution gegen Israel verabschiedet werden soll, denken Sie nicht lange nach, stimmen Sie dafür. Ich kann Ihnen sagen, es ist ein unbeschreibliches Gefühl, wenn man aus der Vollversammlung rausgeht und weiß, man hat es einem Land, das kleiner ist als die Schweiz, wieder mal so richtig gezeigt. Alle finden das klasse. Nun ja, fast alle. Aber die USA werden in letzter Zeit sowieso etwas wunderlich. Sie haben Angst, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt. Verwechseln Sie nicht UNO und USA, sonst sind alle beleidigt, wirklich alle.
Wenn Sie sich ein Spiel ausleihen, müssen Sie bei der Spieleaufsicht ein Pfand hinterlegen. Rauchen ist nur in den entsprechend bezeichneten Räumen gestattet. Tragen Sie Ihr Geschirr bitte selbst zurück. Das Einzige, was von Ihnen sonst noch erwartet wird, ist ein aktiver Beitrag zu den humanitären Aufgaben der UNO. Von Zeit zu Zeit startet die UNO eine Friedensmission. Dann schickt sie ihre Friedensmissionare in ein Land, wo sich die Leute streiten, und versucht, mit Halma, Black Jack und Mau-Mau für gute Laune zu sorgen.
Das klappt eigentlich immer und für viele UNO-Mitarbeiter wird die Missionarsstellung zur Lebensstellung. Nur in Afghanistan mögen die Leute kein Halma, wie wir jetzt leider wissen. Auch Memory nicht wirklich. Daher möchten wir ganz direkt und unverblümt mit der Bitte an Sie, verehrte Schweizerinnen und Schweizer, herantreten, als Einstand die UNO-Mission in Afghanistan zu übernehmen.
Afghanistan ist bergig. Die Schweiz ist bergig. Die Leute sind musikalisch. Sie haben Alphörner. Die Straßen sind unwegsam. Die Schweizer Armee hat Fahrräder. In Afghanistan gibt es 26 Stämme. In der Schweiz gibt es 26 Kantone. Ohne Ihnen schmeicheln zu wollen: Sie sind die Idealbesetzung für diese Aufgabe. Das kommt jetzt vielleicht etwas unverhofft, während Sie gerade im Atlas nachsehen, wo New York liegt. Afghanistan liegt östlich von Sankt Gallen, und in einer internationalen Staatengemeinschaft muss man auch Verantwortung übernehmen, ätschbätsch. Die Welt hofft auf Sie. Wem die Leber zu voll ist, dem geht das Herz über. Wer Wichtiges zu sagen hat, macht keine langen Sätze. Wer angeben will, spricht Latein. In diesem Sinne: Helvetia, Fiat Uno.
Herzlichst Ihr
RALF OBERNDÖRFER
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