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„Billige Retronummer“

Dem Spott vorsichtshalber die Spitze gebrochen: Die Uraufführung von Botho Strauß’ „Unerwartete Rückkehr“ im Berliner Ensemble kommt auch unter der Regie von Luc Bondy nicht wirklich voran

Zu viele Gesichter im Theater, die man vom Fernsehen kennt. Das macht alt vor der Zeit

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Zuerst das alte Westberlin und dann aufs Land, um bloß noch alt zu werden: Das fiel doch früher nicht so peinlich ins Gewicht, wie beschränkt diese Perspektive ist. Im neuen Stück von Botho Strauß, „Unerwartete Rückkehr“, ist der Gesichtskreis von „Mann“ und „Frau“, „seiner Freundin“ und einem „anderen Mann“ von Berggipfeln umstellt. In diesem Kessel kochen sie noch einmal auf, was damals in der Stadt passierte, als man noch glaubte, Leidenschaften zu haben und ein Experiment frei. Am Ende lassen zwei sich zusammen einmauern, die sich nicht einmal lieben. Wahrscheinlich hoffen sie, durch das Unbedingte der Tat der Banalität des Alterns zu entkommen.

Botho Strauß hat sein Stück „Unerwartete Rückkehr“ Luc Bondy gewidmet. Zusammen waren sie ein Dreamteam, viele Komödien lang. Bondy, der seit diesem Jahr alleiniger Leiter der Wiener Festwochen ist, kehrte für diese Regiearbeit nach Berlin zurück, wo er in den Achtzigerjahren an der Schaubühne und in den Neunzigern an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz nie das in ihn gesetzte Vertrauen enttäuschte. Hellsichtig zu sein schien beim ihm oft eine Frage der Anmut. Auch das Berliner Ensemble hoffte nun, mit dem Doppel Bondy/Strauß dem Ruf der Musealisierung zu entgehen und Anschluss an die Gegenwart zu finden.

Doch das Stück macht einen Strich durch diese Rechnung. Denn was es im fahlen Licht eines über dem Berggipfel hängenden Gewitters offen legt, ist die Unfähigkeit, sich zu ändern. Ah, wie beißen sie sich fest in ihren Vergangenheiten. Wer noch keine hat, wie die junge „Freundin“ (Nina Hoss), schiebt sich einen Revolver ins Strumpfband und denkt sich imaginäre Gefahren aus, die den eigenen Schatten ein bisschen vergrößern. Böse war sein Humor oft, jetzt ist Botho Strauß vor allem bitter. In „Unerwartete Rückkehr“ rechnet er ab mit einer Szene, die sich zwischen Westend und Charlottenburg einmal für Avantgarde hielt und nun mit hängenden Schultern ihr Scheitern zur Schau trägt. Robert Hunger-Bühler spielt Clemens, einen Exgaleristen, der jetzt im Weinhandel dilettiert. Bei ihm reichte das anarchische Potenzial vor zwanzig Jahren mal gerade dazu, seine Frauen wie Dreck zu behandeln. „Wir waren erschöpft und wollten das Letzte aus uns herausholen.“ Viel mehr hat er nicht dazu zu sagen, dass er die „Frau“ einmal fast tot zurückließ. Solange er weiß, wie lächerlich das ist, hat er noch unsere Sympathien. Aber leider bricht wie ein Flashback immer wieder etwas durch aus der Zeit, als er an sein satanisches Charisma glaubte.

Viel besser kommt aber auch ein zweites Modell nicht weg, das Botho Strauß beschäftigt und angezogen hat: die Sehnsucht nach Archaik und Mythos. Sie ist noch da, dafür haben sich die Menschen ja ins Gebirge abgesetzt, aber so recht was Großes wird nicht draus. Zum Schluss schleppen der „Mann“ (Peter Fitz) und die „Frau“ (Dagmar Manzel) schwer an den Felsbrocken, die über die Bühne verstreut liegen, um ein Grab zu bauen für alles, was sich abseits der Ehe bewegte. Sie folgen damit einer alten Legende aus der Zeit, als Manneskraft noch als irgendeine Art von Kompetenz galt. Ein hübscher kleiner Rundturm entsteht dabei, so etwas, was der nächste Mieter des Ferienchalets sicher für mindestens 200 Jahre alt und sehr authentisch hält. Dabei ist es in Wahrheit nur die Müllkippe für die Eheprobleme der Vormieter.

Am hübschesten wird die Komödie, wenn die Ironie den Schutzmantel der Altersweisheit durchstößt. Das sei doch alles nur eine „billige Retronummer“ brüllt Nina Hoss in ihr Handy. Keiner der anderen drei auf der Bühne hält sonst eine solche Verbindung zur Außenwelt der elektronisch Vernetzten. Sie erzählt dabei zwar von der Begegnung mit einem Künstler, der sich kreuzigen lässt. Aber der Ausfall könnte genauso gut auf ihren Autoren zielen. So bricht man dem Spott schon mal vorsichtshalber die Spitze.

Das Gestern hängt staubig in der Berliner Theaterluft. Eine Woche zuvor spielten Ilse Ritter und Mario Adorf in einer Premiere des Renaissance-Theaters „Der Mann des Zufalls“ von Yasmina Reza: Da sollte die Sentimentalität des Rückblicks gebrochen werden durch kommentierte Verdauungsprobleme. Gegen diese Biederkeit war die Gemeinschaftstat von Strauß und Bondy zweifellos eine Befreiung und entschieden die bessere Komödie. Vielleicht ist es auch das Publikum, das zu zombiemäßig und bleischwer die Premieren niederdrückt. Zu viele Gesichter im Theater, die man aus dem Fernsehen wiedererkennt. Das macht alt vor der Zeit.

Gegen die Monotonie einer in die Mode gekommenen Depression wollte Bondy im Berliner Ensemble mit „Unerwartete Rückkehr“, einer Koproduktion mit dem Schauspielhaus Bochum, agieren. Moden kommen hier tatsächlich nicht vor. Die New Economy oder die neue Mitte sind in diesem Stück so weit weg wie der Osten. Was nach 1989 passierte, hat keinen der Protagonisten tangiert. Das ist, zumal im Berliner Ensemble, schon merkwürdig.

Doch wer triumphiert in dem Stück? Wer ist der, mit dessen Rückkehr man wirklich nicht rechnete? Der Feind, den man längst nicht mehr auf der Liste hatte? Das ist eben doch die Überraschung, die fast unbemerkt geschieht: Der rüstige Rentner in Freitzeitkleidung, der ehemalige Verwaltungsdirektor, der den Lebensmittelpunkt vom Stuttgarter Platz ins Feriendomizil verschoben hat. Er, der früher einmal betrogene Ehemann, hat die Fäden in der Hand. Ohne Scham teilt er mit seiner Frau die Sehnsucht nach Sauberkeit und Ordnung; dafür blickt sie großzügig über 20 Jahre Demütigung hinweg. Sie hassen sich nicht mehr dafür, Spießer geworden zu sein. Diese Selbstzufriedenheit haben sie ihrem Autor voraus. Der hadert mit seiner Lust, bürgerlich zu werden.

Später, in der S-Bahn, wird laut gesungen: „Ein Lob auf die Gemütlichkeit“. Das singt eine Schar Grufties, gepierct und schwarz angepinselt. Haben die Zeiten sich jetzt geändert?

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