: „Ohne Angst anders sein“
Die Antidiskriminierungspolitik fristet noch immer ein Schattendasein in Deutschland. Ein Gesetzentwurf liegt vor, doch die öffentliche Diskussion um moderne Ansätze in der Bekämpfung von Diskriminierung ist bisher nicht in Gang gekommen
von VERONIKA KABIS
Es gibt auch ein Leben jenseits des Zuwanderungsgesetzes. Der Alltag von Menschen, die aus Gründen ihrer Herkunft oder Hautfarbe gesellschaftliche Ausgrenzung erleben, braucht Regelungen über das Aufenthaltsrecht hinaus. Umso mehr erstaunt es, dass eine öffentliche Diskussion um Antidiskriminierungspolitik in Deutschland kaum geführt wurde und wird. Erst die gesamteuropäische Antidiskriminierungspolitik, die ihren Ausdruck in Artikel 13 des Amsterdamer Vertrags fand, hat den politisch Verantwortlichen auch hierzulande auf die Sprünge geholfen.
Im Dezember vergangenen Jahres hat die Bundesregierung den Entwurf eines zivilrechtlichen Antidiskriminierungsgesetzes vorgelegt, mit dem sie ihrer Verpflichtung nachkommt, die Richtlinie 2000/43/EG des Rates „zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft“ umzusetzen. Gleichzeitig hat sie in diesem Gesetzentwurf den Anwendungsbereich auch auf andere Diskriminierungsgründe – insbesondere Behinderung, Alter, sexuelle Identität, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung – ausgedehnt.
Die langjährigen Erfahrungen in den Niederlanden, in Frankreich oder auch Großbritannien zeigen jedoch, dass es mit der Schaffung eines Antidiskriminierungsrechts noch lange nicht getan ist. Zu einer erfolgreichen Politik gehören auch Förderprogramme, wie man sie etwa aus den USA als affirmative action kennt, und weitere Maßnahmen, die zu einem Wandel des gesellschaftlichen Bewusstseins führen und es jedem Menschen erlauben – um es mit Adorno zu sagen –, „ohne Angst, anders zu sein“.
Ein entscheidender Teil der „Rassendiskriminierungsrichtlinie“ der EU ist bislang nicht umgesetzt. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedsstaaten nämlich dazu, eine oder mehrere unabhängige Stellen zu schaffen, deren Aufgabe darin besteht, dem Grundsatz der Gleichbehandlung Geltung zu verschaffen. Sie sollen die Opfer von Diskriminierung dabei unterstützen, ihrer Beschwerde nachzugehen, unabhängige Untersuchungen durchführen, Berichte vorlegen und Empfehlungen geben. Ein Arbeitsstab der Bundesausländerbeauftragten Marieluise Beck hat dazu erste Ideen zusammengetragen. Mit einer Umsetzung ist jedoch kaum vor Ablauf der von der EU gesetzten Deadline im Juli 2003 zu rechnen.
Nun, da erstmals ein Gesetzentwurf vorliegt und Veranlassung besteht, auch praktische Maßnahmen zur Diskriminierungsbekämpfung einzuleiten, wäre die Gelegenheit günstig, sich Gedanken über ein umfassendes Antidiskriminierungskonzept für die Bundesrepublik zu machen. Zu diskutieren wäre etwa die Frage, ob man sich bei der Einrichtung der nationalen Antidiskriminierungsstelle auf die Vorgabe der EU-Richtlinie beschränkt und ausschließlich über Diskriminierung aufgrund ethnischer Herkunft arbeitet. Oder ob man gleich Nägel mit Köpfen macht und einen, wie er in der EU-Terminologie bezeichnet wird, „horizontalen“ Ansatz wählt, der ein generelles Gleichbehandlungsprinzip in den Mittelpunkt stellt und verschiedene Diskriminierungsgründe berücksichtigt.
Erfahrungen mit einem solchen Ansatz hat die Stadt Göttingen mit ihrem EU-Projekt Hopi (Horizontal Project for Integration) gesammelt. In Kooperation mit Partnern aus Dänemark, Österreich und den Niederlanden setzte sich dieses Projekt mit der Frage auseinander, welche Ansatzpunkte es für eine horizontale Bekämpfung von Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt gibt. Dabei wurde deutlich, dass es auf der einen Seite wichtig ist, Unterschiede zwischen den einzelnen von Diskriminierung betroffenen Gruppen wahrzunehmen. Die Situation etwa einer Migrantin, deren in ihrem Herkunftsland erworbene Berufsqualifikation nicht anerkannt wird oder die einen Sprachkurs, der sie für den Arbeitsmarkt qualifizieren soll, nicht finanziert bekommt, ist nur schwer vergleichbar mit der Situation eines Rollstuhlfahrers, der einen Arbeitsplatz deshalb nicht erhält, weil sich dieser in einem Gebäude befindet, das nicht rollstuhlgerecht gestaltet ist.
Auf der anderen Seite sind die Hopi-MitarbeiterInnen zu dem Schluss gekommen, dass ein horizontaler Ansatz sehr wohl Sinn macht: indem er die Öffentlichkeit über die vielschichtigen Probleme aller von Diskriminierung betroffenen Gruppen informiert, die Gemeinsamkeiten zwischen diesen Gruppen bewusst macht und es ihnen nicht zuletzt erlaubt, die Kräfte zu bündeln, um ihre Interessen nach außen zu vertreten. Vor allem aber öffnet er den Weg für ein neues Verständnis von Diskriminierung.
„Der horizontale Ansatz lässt den Umgang mit Normen transparenter werden. Hierdurch kann er zu einer Art Lotse werden, der den Blickwinkel auf das Problemfeld Diskriminierung verändert. Er liefert das Rüstzeug für einen Perspektivenwechsel“, betont Projektleiter Nils Pagels. Er ist davon überzeugt, dass durch einen ausschließlich zielgruppenspezifischen Blickwinkel die Betonung von Norm und Abweichung noch verstärkt wird.
„Gerade aber in der Gegenüberstellung von Norm und Abweichung tritt man allzu oft in die Falle, die Gründe für die Schlechterbehandlung in dem abweichenden Verhalten zu suchen. Die Frage, wie Diskriminierung zu überwinden sei, wird dann mit der Forderung nach Integration in die Welt der „Normalen“ beantwortet.“ Das Göttinger Team ist zu der Auffassung gelangt, dass eine Kultur der Offenheit, die weggeht von einem normlastigen Integrationsbegriff, mit einer breit gefächerten Debatte über Mechanismen der Ausgrenzung leichter zu erreichen ist.
Irland hat genau diesen Weg eingeschlagen. Nach Verabschiedung zweier Gleichstellungsgesetze nahm dort 1998 eine unabhängige Behörde, die Equality Authority, ihre Arbeit auf. Sie soll dafür sorgen, dass die Gesetze in die Praxis umgesetzt werden, und sie soll die Gleichstellung fördern. Die Behörde arbeitet zu insgesamt neun Diskriminierungsgründen, darunter Gender, Familienstatus, ethnische Herkunft, sexuelle Orientierung und Alter. „Dass wir diesen breiten Ansatz gewählt haben, ist zunächst nicht überall auf Zustimmung gestoßen“, erläutert Patrick O’Leary von der Equality Authority. „Die einzelnen Gruppen haben die Sorge geäußert, dass ihr spezielles Interesse in einem solchen umfassenden Konzept nicht ausreichend vertreten werden könnte. Wir nehmen das sehr ernst und versuchen durch unsere Arbeit, diese Befürchtungen abzubauen. Mit einem integrativen Ansatz zu arbeiten bedeutet ja nicht, zielgruppenspezifische Interessen aus dem Auge zu verlieren. Aber uns geht es vor allem darum, Gleichbehandlungsstrategien zu entwickeln, mit denen die Wertschöpfung und Anerkennung der Differenz erreicht wird.“
Die Stärke des irischen Konzepts sieht Patrick O’Leary darin, dass es dem einzelnen Menschen, der seine Identität ja über mehrere Zugehörigkeiten definiere, Rechnung trage. Gleichzeitig erlaube es, die Erkenntnisse, die die unterschiedlichen Gruppen bereits gewonnen, und Strategien, die sie entwickelt hätten, untereinander auszutauschen und je nach Bedarfslage zu übertragen.
In der Bundesrepublik ist momentan nicht mit einem solchen innovativen Konzept zu rechnen. Nach derzeitigem Stand der Dinge wird wohl nur das umgesetzt, was die EU zwingend vorschreibt, und das ist eine nationale Stelle zur Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft. Die EU-Kommission selbst favorisiert dennoch den „horizontalen“ Ansatz und fördert ihn auch in ihrem derzeitigen Aktionsprogramm. Für die nationalen Politiken konnte sie in ihren Richtlinien allerdings nur Mindeststandards vorgeben; wie die Mitgliedsstaaten das Problem der Diskriminierung angehen, bleibt ihnen selbst überlassen.
Ein umfassendes Antidiskriminierungskonzept hält die Kommission nach den Erfahrungen aus verschiedenen Ländern und Projekten insgesamt für moderner. „Außerdem ist es wichtig, keine „Hierarchie“ der Diskriminierungsgründe aufzustellen, gerade wenn es um Fälle von Mehrfachdiskriminierung geht“, argumentiert Adam Tyson, Referatsleiter bei der Generaldirektion Beschäftigung und Soziales in Brüssel. In der Tat: Spätestens dann, wenn es etwa um die Rechte homosexueller oder behinderter Migrantinnen und Migranten geht, wird die Begrenztheit des Schubladendenkens mehr als offenkundig.
Texte zur europäischen Gesetzgebung finden sich unter http://europa.eu.int/comm/employment_social/fundamri/legln_de.htm. Das transnationale Projekt Hopi, Göttingen, hat Praxiserfahrungen mit einer zielgruppenübergreifenden Antidiskriminierungsarbeit gesammelt (www.agenda13.net). In Irland hat die nationale Gleichstellungsbehörde neue Wege eingeschlagen (www.equality.ie).
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