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Das Ende eines Modells

Mit den Sparvorgaben für die Beschäftigungsgesellschaft „Hamburger Arbeit“ steht Hamburgs Arbeitsmarktpolitik vor der Kehrtwende und ver.di vor einer Zerreißprobe  ■ Von Marco Carini

Der Konflikt ist vorprogrammiert. Wenn am 11. April der Aufsichtsrat der größten städtischen Beschäftigungsgesellschaft, Hamburger Arbeit (HAB), tagt, geht es um die völlige Umstrukturierung der lokalen Beschäftigungspolitik.

Zwei entscheidende Grundpfeiler der bisherigen Politik will der Senat abschießen: Zum Ersten das seit der HAB-Gründung von 1983 erfolgreiche Beschäftigungsprogramm nach dem Prinzip „Tariflohn statt Sozialhilfe“, das bundesweit als Vorzeigemodell gilt. Zum Zweiten steht das Prinzip der Freiwilligkeit zur Disposition, nachdem die HAB nur Langzeitarbeitslose zugewiesen bekommt, die aus eigenem Antrieb bereit sind, dort eine Arbeit anzunehmen.

Seit kurzem, so ein HAB-Mitarbeiter, wird den Arbeitslosen vom Sozialamt mit einer Kürzung ihrer Sozialhilfe gedroht, wenn sie den HAB-Job ablehnen. Des Weiteren soll es der HAB bald unmöglich sein, vom Sozialamt zugewiesene BewerberInnen abzuweisen, wenn diese arbeitsunwillig sind.

Bereits im Januar hatte Sozialsenatorin Brigitte Schnieber-Jastram (CDU) HAB-Geschäftsführer Detlef Scheele informiert, dass die HAB im laufenden Jahr mit 5 Millionen Euro weniger auskommen muss. Dazu soll die Entlohnung der rund 1900 in den Betriebsstätten und Arbeitsagenturen HAB-Beschäftigten drastisch gesenkt werden. Wer bisher nach dem HAB-Tarif 1257 Euro brutto bekam, soll in Zukunft nur noch rund 1000 Euro erhalten. Im Klartext heißt das: HAB-Beschäftigte mit Kindern fallen automatisch unter den Sozialhilfesatz, müssten in Zukunft vermehrt ergänzende Sozialhilfe beziehen.

Zudem sollen alle HAB-Beschäftigten künftig eine mehrmonatige Einstiegsphase durchlaufen, bevor sie einen Arbeitsvertrag für zunächst ein Jahr erhalten. In dieser Zeit soll ihnen zusätzlich zur Sozialhilfe nur eine „Mehraufwandsentschädigung“ in Höhe von rund einem Euro pro Stunde gezahlt werden. Um diese Vorgaben umzusetzen, wurde Scheele von der Behörde verpflichtet, den bestehenden Tarifvertrag mit ver.di zum 31. Oktober zu kündigen.

Die HAB-MitarbeiterInnen bis hin zur Firmenleitung befürchten nun, dass die Mischung aus fehlender Freiwilligkeit und nicht exis-tenzsichernder Bezahlung dazu führen wird, dass bei vielen HAB-Beschäftigten die Motivation in den Keller geht. „Die werden sich verarscht vorkommen“, prophezeit ein HAB-Mitarbeiter. Die Minus-Motivation wiederum könnte negative Auswirkungen auf die Vermittlungserfolge haben. Noch gelingt es der Beschäftigungsgesellschaft, 36 Prozent ihrer Beschäftigten anschließend auf dem Ersten Arbeitsmarkt unterzubringen.

Die Behördenanordnung bedeutet zudem nicht nur, dass die HAB-Beschäftigten in Zukunft „Lohnsenkungen bis an die Armutsgrenze“, so ver.di, werden hinnehmen müssen. Gekippt wird darin auch der ausschließliche Gründungszweck der HAB, Langzeitarbeitslose und arbeitslose Jugendliche aus der Sozialhilfe herauszulösen, und ihnen auf freiwilliger Basis tariflich entlohnte und sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse zur Verfügung zu stellen.

Dieses 1983 von der Hamburger Bürgerschaft beschlossene Modell wurde in den vergangenen Jahren von immer mehr Städten und Kommunen kopiert, da es sich für sie auch finanziell rechnet: Die Tariflohn-Beschäftigten beziehen keine Sozialhilfe mehr und erwerben Arbeitslosengeldansprüche. Selbst wenn sie am Ende ihrer Arbeitsverträge keinen Job bekommen, belas-ten sie damit statt der kommunalen Sozialhilfetöpfe den Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit.

Der von Scheele konzipierte Wirtschaftsplan, in dem die Vorgaben der Behörde umgesetzt werden, soll nun am 11. April vom HAB-Aufsichtsrat abgesegnet werden. Als mögliche Gegenspieler zur Aufsichtsratsvorsitzenden Birgit Schnieber-Jastram, die im Konfliktfall zwei Stimmen hat, stehen ver.di-Chef Wolfgang Rose, ver.di-Sekretär Norbert Proske und die ebenfalls bei der Gewerkschaft organisierten HAB-ArbeitnehmervertreterInnen bereit.

Für Rose ist der im Wirtschaftsplan in Zahlen gegossene „Paradigmenwechsel“ in der Arbeitsmarktpolitik „ein sozialpolitischer Rückschritt auf Kosten der Ärmsten“. Gegenüber der taz erklärte der Gewerkschaftschef, er gehe „persönlich davon aus, dass wir einem solchen Wirtschaftsplan keinesfalls zustimmen“. Rose kündigt an, ver.di werde im Aufsichtsrat ein Bündel Anträge zum Wirtschaftsplan stellen, und darauf dringen, „das diese auch diskutiert werden“.

Entschieden aber soll das Vorgehen der GewerkschaftsvertreterInnen im Aufsichtsrat auf einer Sitzung der ver.di-Betriebsgruppe am 3. April werden. In der Betriebsgruppe aber gibt es zum Konflikt um die HAB mindestens zwei Meinungen. Denn der Sparplan betreibt geschickt die Spaltung zwischen dem rund 280-köpfigen Stammpersonal und den knapp 1900 in den HAB-Programmen beschäftigten ehemaligen Sozialhilfeempfängern. Während letztere drastische Lohneinbußen hinnehmen müssen, bleibt die Entlohnung der Stammbelegschaft unangetastet. Auch Entlassungen sind nicht geplant.

Da der Bestand der HAB so nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird, vertreten nun viele gewerkschaftlich organisierte HAB-MitarbeiterInnen und Teile des Betriebsrates die Auffassung, „es hätte schlimmer kommen können“. Sie plädieren dafür, dem Wirtschaftsplan mit einigen Änderungen zuzustimmen.

Ein solcher Schlingerkurs aber könnte, das weiß auch Rose, den Ruf von ver.di nachhaltig ramponieren. Denn die Gewerkschaft mobilisiert zu einer Großdemonstration am 16. April gegen die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik der neuen Regierungskoalition. Stimmt ver.di fünf Tage zuvor aber der HAB-Umstrukturierung – Herzstück der neuen Arbeistmarktpolitik – grundsätzlich zu, gerät Rose in massiven Erklärungsdruck.

Doch selbst wenn die ver.di-VertreterInnen den Wirtschaftsplan in Bausch und Bogen ablehnen, geht Rose von einer „Mehrheit für den Plan im Aufsichtsrat aus“. Ganz sicher aber ist sie nicht: Die Vertreterin der leitenden Angestellten auf Arbeitnehmerseite, aber auch die Vertreterin der Diakonie, Annegrete Stoltenberg, auf Seite der ArbeitgeberInnen, gelten für ihr jeweiliges Lager als unsichere Kantonistinnen. Lehnen beide den Wirtschaftsplan ab, könnte Schnieber-Jastram eine unerwartete Niederlage kassieren.

Daneben werden zwei weitere Weichenstellungen in den nächsten Monaten die Zukunft der HAB bestimmen. Die Frage, ob und zu welchen Bedingungen ver.di einen neuen Haus-Tarifvertrag mit der HAB über die neuen Dumpinglohn-Beschäftigungen abschließen wird. ver.di-Chef Rose jedenfalls kann wenig Sinn darin sehen, „Gehälter am Rande des Sozialhilfeniveaus auch noch zu tarifieren“.

Ungeklärt ist zudem, ob die geplante Umstrukturierung nicht den im HAB-Gesellschaftsvertrag festgelegten Eckpfeilern Freiwilligkeit, Tariflohn und Sozialversicherungspflicht eindeutig widerspricht. Sowohl die Sozialbehörde wie auch ver.di lassen das derzeit mit Hochdruck juristisch prüfen. Der Ausgang dieser Rechtsbegutachtung ist offen. „Im Zweifel muss der Gesellschaftsvertrag eben geändert werden“, spielt HAB-Sprecherin Heike Baumann das Problem herunter.

Von einer Änderung des HAB-Gesellschaftsvertrages, den auch die Hamburger Bürgerschaft absegnen müsste, verspricht sich Rose die Chance „diese Wende noch einmal öffentlich zu diskutieren und zu skandalieren“. Verhindern aber ließe sich die Vertragsänderung dadurch wohl kaum.

Mit neuem Gessellschaftsvertrag wäre das Ende des Hamburger Vorzeigemodells „Tariflohn statt Sozialhilfe“ endgültig – nachzulesen schwarz auf weiß.

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