: Vergesst Monterrey
Entwicklungshilfe gilt nach wie vor als staatliche Aufgabe. Dabei haben private Unternehmer, die in den Entwicklungsländern aktiv sind, weit mehr Möglichkeiten
Die Debatte um Entwicklungsfinanzierung, die diese Woche auf der UN-Konferenz im mexikanischen Monterrey stattfindet, hat einen merkwürdig antiquierten Beigeschmack. Der Schlüssel zur Überwindung von Armut liegt, wie jeder Linke wissen müsste, im Reichwerden, also in der Kapitalakkumulation.
Das bedeutet höhere Spar- und Investitionsquoten in Entwicklungsländern und höhere Kapitalströme von Nord nach Süd. Dafür müssen zugleich Kapitalabflüsse aus Entwicklungsländern sinken und ihre Deviseneinnahmen steigen, womit Schuldenerlassprogramme für die Dritte Welt und die Beseitigung von Handelshemmnissen in den reichen Industrienationen zu zentralen Bausteinen effektiver Entwicklungspolitik werden. Aber die Großmächte der Welt konzentrieren sich bei ihrer Vorbereitung auf die UN-Konferenz auf höhere Etats für staatliche Entwicklungszusammenarbeit.
Kurios an dieser Staatsfixiertheit ist, dass ansonsten die zentrale Rolle privater Interessen bei den Problemen des Südens klar gesehen wird – zum Beispiel bei der Behauptung der Globalisierungskritiker, Konzerne gewännen immer mehr Macht auf Kosten von Regierungen. Die daraus entstehende Forderung ist aber immer, die Macht der Konzerne wieder zurückzudrängen. Die Debatte bleibt bei Kritik stecken, statt sich ins Konstruktive zu wenden. Warum kann die Macht der Konzerne nicht dazu dienen, Gesellschaften aus der Unterentwicklung hinauszuführen?
In vielen armen Ländern agieren große ausländische Investoren exterritorial: Sie bringen ihre eigenen Mitarbeiter mit und bauen für diese Exklaven, in denen höhere Gehälter gezahlt werden und bessere Sicherheits- und Sozialstandards gelten als draußen. Die lokale Bevölkerung sieht machtlos und neidvoll zu. Ein extremes Beispiel sind die Ölfelder von Nigeria. Die Bewohner des Niger-Flussdeltas verlangen zunehmend gewalttätig Arbeitsplätze bei Shell und den anderen Ölkonzernen, denn bessere Arbeitsplätze gibt es in Nigeria nicht. Viele Kritiker von Shell meinen trotzdem, der nigerianischen Bevölkerung wäre am besten mit Shells Abzug aus Nigeria gedient.
Falsch: Shell muss noch viel aktiver werden. Deutschlands staatliche Entwicklungsbehörde GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit) hat vor kurzem von Nigerias Regierung den Auftrag erhalten, einen Entwicklungsplan für die Ölfördergebiete zu erstellen. Wenn sie ihre Aufgabe ernst nimmt, sollte die GTZ darauf drängen, dass Shell und die anderen Ölkonzerne im Nigerdelta die Städte aufbauen, Straßen, Schulen und Krankenhäuser errichten, Strom- und Wasserleitungen legen und dem himmelschreienden Elend der Region ein Ende setzen.
Englands Industrialisierung im 18. und 19. Jahrhundert, die erste der Welt, geschah nicht auf Regierungsbeschluss, sondern auf Initiative von Kapitalisten. Von den ersten Spinnereien bis zu den späteren Kohle- und Stahlrevieren waren es private Unternehmer, die die Gesellschaft umkrempelten. Sie bauten Städte, in denen entwurzelte Landbewohner zu Arbeitern wurden, und die gesamte Infrastruktur dazu. Diese kapitalistische Entwicklung haben alle Nationen durchgemacht, die erfolgreich zu Industriegesellschaften wurden. Staatliche Versuche, dies nachzuahmen, endeten demgegenüber im stalinistischen Terror.
Heute sind die großen Konzerne ungleich reicher als vor 200 Jahren. Sie haben also noch viel mehr Möglichkeiten, sich um die Gestaltung der Lebensbedingungen in jenen Gegenden zu kümmern, in denen sie tätig sind. Aber niemand fragt die Unternehmen danach.
Ein weiterer Punkt, in dem die Rolle privater Interessen zwar gesehen, aber nicht zur Politikgestaltung herangezogen wird, betrifft die Debatte um Konfliktlösung im Süden. Rohstoffhandel und private Geschäftsinteressen gelten heute als wesentliche Motoren von Krieg in der Dritten Welt – von Sierra Leone bis Zentralasien. Problematisiert wird die Privatisierung von Staaten und der damit einhergehende Staatszerfall sowie der Zusammenhang zwischen Exporttätigkeit und Kriegsfinanzierung. Längst ist auch klar, dass staatliche Hilfsversprechen ungenügend sind, um den Wiederaufbau von kriegsverwüsteten Ländern zu finanzieren. Das gilt für Afghanistan und den Balkan, und erst recht für vergessene Kriegsregionen in Afrika oder dem Kaukasus.
Wenn private Interessen entscheidend sind für das Aufkommen von Kriegen, sind sie auch entscheidend für ihre Beendigung. Nur wird dieser gedankliche Schritt nicht unternommen. Die Diamantenhändler von Sierra Leone und Angola werden zwar mit Sanktionen belegt, nicht aber in Wiederaufbauplanungen einbezogen. Zugleich arbeitet nicht die Politik, sondern die Diamantenindustrie die neuen Regeln für den internationalen Diamantenhandel aus. Das Ergebnis wird wohl nicht in erster Linie den Interessen der betroffenen Länder dienen. Wenn beispielsweise in Zukunft „saubere“ Diamanten die von De Beers sind und „blutige“ die von schwer identifizierbaren informellen Händlern, mag das der Transparenz einer Wirtschaftsbranche förderlich sein – nicht jedoch unbedingt der Friedensschaffung in Konfliktgebieten.
Was für kuriose Blüten das alles treiben kann, macht die aktuelle Diskussion um den Handel mit Coltan aus dem Kongo deutlich. Der für die Computer- und Mobilfunkindustrie benötigte Rohstoff wird zum Teil im Kriegsgebiet der Demokratischen Republik Kongo gefördert und geht von dort unter anderem über Zwischenhändler an die deutsche Bayer-Tochter H. C. Starck; die Erlöse daraus sind eine Hauptfinanzquelle diverser bewaffneter Gruppen in der Region. Die internationale Kritik an diesem Umstand gipfelt meistens in der Forderung, den Handel einfach zu stoppen, notfalls mit Sanktionen.
Untersuchungen vor Ort ergeben jedoch, dass die Milizen und Rebellen bei einem Ende des Coltanhandels nicht die Waffen niederlegen würden, sondern im Gegenteil noch heftiger gegeneinander um die verbliebenen Ressourcen der örtlichen Bevölkerung kämpfen würden. Wenn weniger Geld in eine Kriegsregion kommt, ist das Ergebnis nicht Frieden, sondern mehr Verteilungskämpfe. H. C. Starck sollte lieber dazu gebracht werden, Coltaneinnahmen zum Wohle der Bevölkerung des Kongo einzusetzen, z. B. für den Wiederaufbau der von einem Vulkan zerstörten Stadt Goma. Stattdessen erwägt der Konzern Finanzhilfe zum Schutz von Berggorillas. Und eine offene politische Diskussion über konstruktives Engagement im kongolesischen Kriegsgebiet findet nicht statt.
Ein Perspektivwechsel ist erforderlich. Ausgangspunkt einer erfolgreichen Entwicklung ist es, dass Unternehmer mit viel Geld die Lebensverhältnisse von Bevölkerungen bereits mitbestimmen. Hier muss Friedensschaffung und Armutsbekämpfung ansetzen. Vergesst Monterrey: Auf Nigerias Ölfeldern und in Kongos Bergwerken entscheidet sich die Zukunft der Entwicklungspolitik. DOMINIC JOHNSON
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