: Nach der Musik ist vor der Musik
Sound-Quellen ihrer linearen Strukturen berauben: Oval im Westwerk ■ Von Julian Weber
Ein hidden track, ein vermaledeiter. Auf Ovalcommers, Markus Popps letztjähriger CD unter dem Banner Oval, ist so einer. Die Anzeige des CD-Abspielgerätes rechnet beim elften und letzten Track eine Länge von 38 Minuten vor, freilich verabschieden sich die für das menschliche Ohr wahrnehmbaren Geräusche bereits nach sechs Minuten und setzen erst 23 Minuten später wieder ein. Was wiederum heftiges Erschrecken beim ers-ten Hören zur Folge hat.
Nun scheinen Emotionen dem Bezugssystem von Popp erstmal nicht zuzuordnen zu sein. Echtzeit spielt für ihn eine eher untergeordnete Rolle – und Musik steht bes-tenfalls an der Peripherie seiner Aktivitäten, als Ausgangspunkt für einen Kosmos aus Klanginstallationen und Software-Versionen, fortgeschrittenen Technologie-Debatten und Programmier-Jobs. Bei all den unterschiedlichen Aktivitäten wird Markus Popp immer noch vermarktet wie ein Popkünstler, dabei redet er nicht von Basslinien, sondern von „Design“. Seine Klangerzeugnisse nennt er „Sounddaten“.
Je mehr Popp in die Materie der digitalen Medien eingedrungen ist, desto mehr spielt er mit den Störungen und Schwankungen, sucht nach einem tieferen Sinn auf den Benutzeroberflächen und fördert erstaunliches Klangmaterial zu Tage. Sich selbst sieht er dabei als „Analyst der zeitgemäßen Set-Ups, mit denen man Musik erzeugen kann“. Es gibt Produzenten elektronischer Avantgarde, die mit ihrem Ausgangsmaterial und Geräten ähnliche Ergebnisse erzielen. Der Japaner Nobukazu Takemura sei als Beispiel genannt. Aber niemand ist so mit der Weiterentwicklung der Systeme und Geräte beschäftigt wie Markus Popp. Er will dabei nicht die Fehler am Material beheben, sondern die nicht-funktionalen Seiten weiterverfolgen. Eigenständigkeit und Produktivität sind wichtige Worte im Oval-Universum. Da wundert es nicht, dass er sich in einem Berliner Atelier installiert hat und nicht in seinem Schlafzimmer produziert. „An der Vorstellung von Musik und Intimität reizt mich überhaupt nichts.“
Oval ist die Schnittmenge aus Hardcore-Computer-Culture und sperrig-futuristischem Sound-design. Für die Inszenierung des Schnellen und Vergänglichen im reibungslosen digitalen Alltag wirkt Markus Popp zu ernst, aber auch zu hermetisch. Musik habe sich geändert, seit sie mit User-Interface-Technologie in Berührung gekommen sei, und damit einhergehend auch die Arbeitsweisen, so Popp.
In seinen Klangerzeugnissen vermischen sich ältere Daten mit neuen Informationen, werden ihrer Referenzen beraubt und die Spuren verwischt. Eine beispiellose Demontage von Klängen, die aber wiederum zu einer so noch nie dagewesenen klanglichen Vielfalt führt. Auf Ovalcommers lauscht man den Daten beim Übermitteln der Sounds und man lauscht, wie Popp versucht, diese Übermittlungen zu unterbinden, auf andere Frequenzen auszuweiten oder die ursprünglichen Übermittlungs-Inhalte zu stören. „Content Reset“ nennt man das in der Computersprache: Ein ständiges Überschreiben der eigenen Ergebnisse. Für Sekundenbruchteile tauchen Aufnahmen eines Geigenquartetts oder einer Kinderstimme auf. Popp verrechnet sie in fremdes Material, beraubt die Sound-Quellen ihrer linearen Struktur. Über seine Arbeitsgrundlage gibt ein Wort auf dem Cover von Ovalcommers Aufschluss: „Process“.
Ovalprocess heißt denn auch die von Popp ersonnene Testversion einer eigenen Software, mit der man im öffentlichen Raum arbeiten soll. Filesharing als neue Form der Free-Music. Ob und wie viele Benutzer bereits eigene „Sounddaten“ entwickeln, ist nicht bekannt. Für Popp war Ovalprocess die Vorarbeit zu Ovalcommers, seiner bisher schönsten Sinfonie des Interface. Wo Myriaden von Klangpartikeln Datenströme formen, die in alle Richtungen auseinander driften, mal explosionsartig Feedback kreischend, mal elegisch knisternd, als wäre ein simpler Rechenfehler beibehalten worden. Beliebig kurz blinken komplexe Melodien auf und stimmen ein in den Chor aus lauter Glitch- und Blip-Sounds. Die Summe unterscheidet sich dabei deutlich vom Gehalt der einzelnen Teile. Ob man das auch im Konzert-Kontext reproduzieren kann, dürfte nicht die Frage sein. Viel eher schon, wie sich das vermittelt, wenn jemand mit den Graphikfehlern seines Powerbooks live spielt? Wen kümmert's, wenn Markus Popp so radikale und gleichzeitig zärtliche Ergebnisse erzielt.
Montag, 21 Uhr, Westwerk
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