: Ende eines „roten“ Mythos
■ Beate Meyer legt in einer jüngst erschienenen Studie das Funktionieren von Nazi-Organisationen in Eimsbüttel offen
„Ich war Nazi“, erklärt Frau P. Auf einem Tanzabend der NSDAP im „Deutschen Haus“ hatte die damals Neunzehnjährige 1933 auch ihren künftigen Ehemann, einen SA-Mann, kennengelernt. In Begleitung ihrer Cousine und von deren Familie durfte sie zu der Veranstaltung am Langenfelder Damm in Eimsbüttel. „Alles überzeugte Nationalsozialisten“, betont Frau P. Die Zeitzeugin ist nur eine von vielen EimsbüttelerInnen die in Beate Meyers Studie „Goldfasane“ und „Nazissen“ ihre damalige politische Weltsicht schildern.
Nur selten erforschten bisher Geschichtswerkstätten die Etablierung und Akzeptanz der NSDAP in einem Stadtteil. Stattdessen untersuchten sie die Geschichte des Widerstands und der Verfolgung. Zwar brachen sie so vor Ort das Schweigen über die Opfer, doch die TäterInnen und MitläuferInnen aus der Nachbarschaft blieben unbeachtet. Diese Forschungslücke, schreibt Meyer, verstärkte das Bild vom „roten Eimsbüttel“. Ausgeblendet blieb, dass „die Nationalsozialisten nicht (nur) von außen über einen friedlichen „roten“ Stadtteil herfielen (...), sondern dass auch in dem Stadtteil Tausende in die NSDAP und ihre Massenorganisationen strömten“.
Diese Lücke möchte Meyer schließen, in dem sie untersucht, wie sich die NSDAP etwa in Eimsbüttel entwickelte, und wie sie sich 1938 mit rund 14 000 Eimsbütteler Parteimitgliedern vor Ort entfaltetete. Die Autorin hat für die Skizzierung des Parteilebens vor allem die regionale NSDAP-Presse he-rangezogen. Hunderte von Funktionsträgern, „Goldfasane“ – von Blockwarten über Ortsgruppenleiter bis zu Kreisleitern – hätten für die Durchsetzung der NS-Politik gesorgt, schreibt sie.
Dabei zeigt sie – etwa durch die Beschreibung der Lebenswege von führenden Nationalsozialisten wie den Kreisleitern Walter Goy, Johannes Lange und Wilhelm Tegeler – auch die individuelle Motivationen auf. Ebenso stellt sie dar, dass Eimsbütteler „Nazissen“ von der NS-Frauenschaft wie etwa Frieda König einen wichtigen „Beitrag zur Verwirklichung der nationalsozialistischen Ideologie“ geleistet hätten.
Nicht nur die „schrittweise Ausgrenzung der Juden im Stadtteil“ zeigt Meyer so auf, sondern auch das breite Angebot zur „Mitwirkung“. Wichtige Nahaufnahmen, die das Verständnis für das Funktionieren des NS-Staates insgesamt erweitern. Andreas Speit
Beate Meyer: „Goldfasane“ und „Nazissen“. Die NSDAP im ehemals „roten“ Stadtteil Hamburg-Eimsbüttel. Galerie Morgenland, Hamburg, 2002, 166 Seiten, 9 Euro
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