„Vorbildwirkung für Europa“

Rechtsprofessor Joseph Straus sieht nur einen schmalen Anwendungsbereich für das deutsche Gesetz zur Biopatentrichtlinie der Europäischen Union. Dennoch hält er den Streit im Bundestag nicht für rein symbolisch

taz: Herr Straus, der Bundestag diskutiert immer noch darüber, wie er die EU-Richtlinie zum Schutz von biotechnologischen Erfindungen in deutsches Recht umsetzen soll. Welche Akzente will der Gesetzgeber hier gegenüber der EU-Richtlinie setzen?

Joseph Straus: Der vorliegende deutsche Gesetzentwurf versucht in zwei Punkten den Bedenken der deutschen Öffentlichkeit Rechnung zu tragen. Zum einen ist ein Patent ausgeschlossen, wenn die zu schützende Erfindung gegen das Embryonenschutzgesetz verstößt …

Auch die Richtlinie nimmt die Forschung mit Embryonen vom Patentschutz aus …

Richtig. Sie lässt aber offen, ab wann überhaupt von einem Embryo die Rede sein kann. In England geht man erst ab dem vierzehnten Tag nach der Befruchtung von schützenswertem menschlichen Leben aus. Das deutsche Embryonenschutzgesetz schützt den Embryo dagegen schon mit Beginn der Verschmelzung von Ei und Samenzelle.

Und was ist der zweite abweichende Akzent im deutschen Umsetzungsgesetz?

Hier geht es um den Schutzumfang bei so genannten Stoffpatenten, etwa wenn eine Gensequenz zum ersten Mal isoliert wurde. Nach der EU-Richtlinie ist ein Patent möglich, wenn der Forscher zumindest eine „Funktion“ des Gens angeben kann. Da aber immer klarer wird, dass einzelne Gene mehrere Funktionen haben, besteht die Gefahr, dass ein Forscher hier für Dinge Patentschutz erhält, die er gar nicht beschrieben hat. Deshalb schlägt die Bundesregierung vor, den Patentschutz immer dann auf die beschriebene Funktion zu beschränken, wenn die Identifizierung der DNA-Sequenz keine Erfindungshöhe aufweist. Denn dann kann ja nur die Funktionsaufklärung als Erfindung angesehen werden.

Dieser Ansatz findet sich nur in der Begründung des Gesetzentwurfs, nicht aber im Gesetzestext selbst. Halten Sie das für ausreichend?

Ja, denn es macht deutlich, wie das Gesetz anzuwenden ist. Andererseits ist dies eine flexible Herangehensweise, die später auch andere Auslegungen nicht behindert – wenn die technische oder rechtliche Entwicklung dies erfordert.

Wie groß wird eigentlich die Bedeutung des deutschen Umsetzungsgesetzes in der Praxis sein?

Das deutsche Gesetz würde nur angewandt, wenn beim deutschen Patentamt ein nationales biotechnologisches Patent angemeldet wird. Ich schätze aber, dass mehr als 90 Prozent der entsprechenden Patente vom Europäischen Patentamt (EPA) vergeben werden. Und dort wird ausschließlich die EU-Richtlinie angewandt – vermittelt über das Europäische Patentübereinkommen und dessen Ausführungsordnung.

Das deutsche Umsetzungsgesetz, um das so heiß gestritten wird, findet also nur bei maximal zehn Prozent aller biotechnologischen Erfindungen Anwendung?

Ja, und es sind sicher nicht die wichtigsten Patente, die lediglich national angemeldet werden. Alles, was von gewisser Bedeutung ist, läuft gleich auf der europäischen Schiene, denn das Europäische Patentamt kann Patente für bis zu zwanzig europäische Staaten vergeben.

Der gerichtliche Rechtschutz gegen eine Patenterteilung findet aber vor nationalen Gerichten statt. Spielt wenigstens hier das deutsche Umsetzungsgesetz eine größere Rolle?

Nein. Wenn jemand glaubt, dass ein bestimmtes Patent vom EPA gar nicht hätte erteilt werden dürfen, so kann er mit Wirkung für Deutschland beim Deutschen Bundespatentgericht in München eine Nichtigkeitsklage erheben. Dieses Gericht wendet dabei aber, wie das EPA, das europäische Recht direkt an. Das Gleiche gilt in letzter Instanz vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Es ist zwar denkbar, und kommt auch immer wieder vor, dass die deutschen Gerichte zu anderen Ergebnissen kommen als das EPA, das wäre aber keine Wirkung des deutschen Umsetzungsgesetzes, sondern die Folge einer anderen Auslegung des europäischen Rechts.

Warum wird dann bloß so erbittert und langwierig über dieses deutsche Umsetzungsgesetz gestritten? Könnte es sein, dass hier lediglich die Öffentlichkeit beruhigt werden soll, obwohl jeder weiß, dass die Musik woanders und nach anderen Noten spielt?

Das sehe ich nicht so. Das deutsche Gesetz kann neben seinem sehr schmalen Anwendungsbereich durchaus eine Vorbildwirkung für Europa haben.

Auf welchem Wege?

Auch beim EPA spürt man die in ganz Europa verbreitete Skepsis gegenüber der Genpatentierung. Wenn das deutsche Gesetz hier eine sachgerechte Lösung anbietet, die halbwegs mit der Richtlinie vereinbar ist, dann kann es gut sein, dass das EPA in seiner Praxis darauf zurückgreift und abhängig vom Einzelfall künftig ebenfalls funktionell begrenzte Genpatente vergibt.

Das ist aber erst mal nur eine Hoffnung …

Aber eine begründete Hoffnung. Das deutsche Patentrecht hat – neben dem englischen Recht – in Europa traditionell einen besonders hohen Rang.

Könnte sich denn auf diesem Wege auch die deutsche Auffassung zum Embryonenschutz in Europa durchsetzen?

Das ist schon schwieriger. Denn hier ist die englische Auffassung dezidiert anders als die deutsche. Ich kann mir aber vorstellen, dass das Amt unter dem Druck von Lobbygruppen wie Greenpeace sogar hier die deutsche Sichtweise übernimmt.

Für wie relevant halten Sie die aktuelle Debatte um Genpatente überhaupt?

Die Bedeutung von Genpatenten wird stark überschätzt. So ein Patent schützt die Erfindung schließlich nur zwanzig Jahre und die sind schnell vorbei. Vermutlich gibt es wirkliche Durchbrüche in der Gentherapie erst deutlich später.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH