: Madagaskars Revolutionskrise
Oppositionsführer Ravalomanana hat die bisherige Regierung gestürzt – aber nicht entmachtet. Nun entscheidet sich, ob er einen Militärputsch abwenden kann
BERLIN taz ■ Auf Madagaskar soll morgen das Parlament einer neuen Regierung das Vertrauen aussprechen. Was aussieht wie Routine, ist in Wahrheit als entscheidende Etappe der friedlichen Revolution gedacht, mit dem die Opposition in den letzten zwei Monaten das bisherige Regime Schritt für Schritt von der Macht verdrängt hat.
Am 16. Dezember hatte Marc Ravalomanana, Geschäftsmann und Bürgermeister der madegassischen Hauptstadt Antananarivo, den ersten Durchgang der Präsidentenwahl klar gegen den bisherigen Amtsinhaber und früheren Militärdiktator Didier Ratsiraka gewonnen.
Strittig blieb jedoch das genaue Ergebnis: Die Opposition errechnete für sich 52 Prozent und für Ratsiraka 36 – die Regierung sah ein Stimmenverhältnis von 46 zu 40 Prozent und setzte eine Stichwahl an. In Reaktion rief die Opposition zum Generalstreik auf. Seit dem 28. Januar steht die madegassische Wirtschaft still, und täglich demonstrieren hunderttausende in der Hauptstadt.
Am 22. Februar ließ sich der Oppositionsführer zum Präsidenten vereidigen, woraufhin der bisherige Präsident Ratsiraka in die Küstenstadt Taomasina im Osten Madagaskars zog und den Notstand ausrief. Am 4. März begannen Ravalomananas Anhänger, die Ministerialgebäude in der Hauptstadt zu übernehmen. Sie haben sich als Regierung etabliert, während der bisherige Staatschef aus Taomasina heraus als Warlord agiert.
Auf der wichtigsten Hauptstraße von der Küste nach Antananarivo hat Ratsiraka eine Straßensperre errichtet, die die Hauptstadt ökonomisch strangulieren soll und zugleich Madagaskar faktisch teilt. Die Barrikaden im Ort Brickaville sind von schwer bewaffneten Milizionären bewacht und nur gegen sehr viel Schmiergeld passierbar. Ratsiraka zählt auf die Kraft seiner ökonomischen Blockade und auf Unterstützung aus Frankreich, das Madagaskars Wirtschaft und Militär dominiert. In Antananarivo zirkuliert ein Brief einer französischen Diplomatenfrau, in dem von „Schmuggel von Edelsteinen“ aus Madagaskar durch „hohe französische Persönlichkeiten“ die Rede ist.
So hat Madagaskar zwei Regierungen. Die Posten der Provinzgouverneure sind doppelt besetzt, ebenso – und das ist besonders gefährlich – mehrere Schlüsselposten in der Armeeführung. Ravalomanana wohl gesinnte Medien der Hauptstadt kritisieren die Passivität des neuen Staatschefs: Er setze auf den Zerfall der bisherigen Institutionen, richte aber keine neuen ein, sondern führe den Generalstreik seiner Anhänger weiter. Zugleich verbreiten hohe Generäle Erklärungen, in denen sie „Sorge über die Einheit der Armee“ verbreiten. Von einem „dritten Weg“ zur Lösung der Krise ist immer öfter die Rede – gemeint ist eine Militärjunta.
Angesichts der Zuspitzung hat Ravalomanana jetzt zwei wichtige Entscheidungen getroffen. Ab heute ist der Generalstreik abgeblasen, und morgen tritt das Parlament wieder zusammen. Damit entspricht Ravalomanana teilweise den Forderungen einer Gruppe führender Intellektueller, die ihn vergangene Woche aufgerufen hatte, endlich zu regieren. DOMINIC JOHNSON
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