piwik no script img

Blick nach Osten

Länderschwerpunkt Tschechien und Ungarn: Die kommende Spielzeit des Philharmonischen Staatsorchesters  ■ Von Alexander Diehl

Ein wenig metaphysisch mutete es an. Einer „heimlichen Kraftquelle der Musik“, so formulierte es Ingo Metzmacher bei der Präsentation, widmet sich das Philharmonische Staatsorchester in der nächsten Konzertsaison mit seinem Länderschwerpunkt: Um jene Gebiete, einst Teil der Monarchie Österreich-Ungarn, geht es beim Blick „von Wien aus nach Osten“, so der Generalmusikdirektor, die heute Ungarn und Tschechien ausmachen. Dort „trafen sich Jahrhunderte lang die besten Musiker und entwickelten gemeinsam eine Musik voller Lebenslust und Magie“.

Dass das Programm dabei nicht zu behaglich wird zwischen Puszta- Klischees und Smetanas in Naturschönheit schwelgender Moldau, dafür sorgt freilich die inzwischen wohl bekannte erzieherische Linie im Hause Metzmacher, die verkürzt gesagt Traditionelles mit Sperrigem zu kombinieren sucht. Da treffen dann – neben dem bei solchem Programm unumgänglichen, wiederholt gespielten Béla Bartók – neu tönende Kompositionen Ligetis oder Kurtágs, der bedeutendsten ungarischen Komponisten der Gegenwart, auf Haydn und Mahlersche Liedvertonungen, folgt auf Mozarts „Prager Sinfonie“ die „Glagolithische Messe“ von Leos Janácek, ausdrücklich mit „drei Paar Pauken und reichlich verwendetem Blech“ zu spielen. Entsprechend stehen Haydn, Mahler oder Robert Schumann Stücke von Schostakowitsch, Karl Amadeus Hartmann oder Bernd Alois Zimmermann gegenüber, und mit Jakub Sarwas, polnischer Gewinner des letztjährigen Komposi-tionswettbewerbs der hiesigen Johannes-Brahms-Gesellschaft, und seinem Werk écru hat man gar eine Uraufführung im Programm.

Es sei eines ihrer gelungensten Saisonprogramme, da waren sich Metzmacher und Dramaturg Christoph Becher einig, „sehr geschlossen“ und überdies „hochkarätig besetzt“. In der Tat werden sich gleich mehrere Hoffnungsträger des internationalen Orchesterbetriebes in der Musikhalle betätigen, und mit Sir Charles Mackeras, der in einem Sonderkonzert im März 2003 Smetanas Mein Vaterland leiten wird, kehrt ein inzwischen international verdienter Dirigent an „einen seiner Anfänge zurück“, so Metzmacher: Mackeras war in den späten 60er Jahren Erster Dirigent an der Hamburgischen Staatsoper. Das Orchester seinerseits geht seit längerem wieder einmal auf Europa-Tournee und spielt Werke des 4. und 5. Konzerts.

Indes bedürfte die thematisch-geografische Klammer der Saison durchaus des einen oder anderen Kommentars. Denn nicht zuletzt ist da viel von der ganz und gar nicht unschuldigen Vokabel „Heimat“ die Rede und vom „Volk“, jener zuweilen mythisch anmutenden, kaum fassbaren Größe, bei deren kulturellen Traditionen sich nicht nur Béla Bartók reichlich bediente. Sein zeitweiliger Wegbegleiter Zoltán Kodály, dessen Tänze aus Gálanta auch auf dem Programm stehen, sah hinter dem Sammeln überlieferter „Bauernmusik“ durchaus größere Aufgaben: Angesichts der vermeintlich ursprünglichen Kreativität und des Reichtums ihrer quasi ethnologischen Objekte „erstand vor uns das Bild eines gebildeten Ungarn“, so Kodály später, „das aus dem Volk wiedergeboren werden sollte“. Es ist ein immer wieder befremdliches Eigenes, Vormodernes, nach dem da stärker als andernorts gesucht worden zu sein scheint.

Vielleicht bietet da ja das traditionelle Sonderkonzert am 3. Oktober mit dem freiheitlichen Jauchzen von Beethovens 9. Sinfonie Gelegenheit zur Einordnung, denn dieses Jahr soll dazu auch wieder ein Redner eingeladen werden. Bemühte Wahlkampfscharmützel um die dann geladene Person, die zurzeit noch nicht feststeht, sind diesmal ja eher nicht zu befürchten.

Tag der offenen Tür der Musikhalle: 6.9., 15 Uhr; 1. Saisonkonzert des Philharmonischen Staatsorchesters: 8.9., 11. Uhr + 9.9., 20 Uhr, Musikhalle. Karten: Abonnementsbüro, Tel. 35 68 800, ticket@philharmonisches-staatsorchester-hamburg.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen