: Von wegen Kitsch – La Bohème
■ So schöne Melodien und der geheime Wunsch nach Helden: Puccini an der Bremer Oper neu inszeniert
Ein populärer Stoff, aber kein Kitsch, sagt Dominik Neuner. Bei der Neuinszenierung von Giacomo Puccinis „La Bohème“ für die Bremer Oper wagt er mal wieder einen anderen Blick. Bislang hatte Neuner schon einige Klassiker der Opernliteratur streitbar in Szene gesetzt.
taz: „Notorischer Kitsch schlimmster Sorte“ wurde über „La Bohème“ gesagt. Herr Neuner, was sagen Sie zu diesem Zitat?
Dominik Neuner: Also, der Kitsch steht nicht in der Partitur! Die ist total brüchig komponiert, es gibt kurz phrasierte Ansätze, nicht auslaufende Bögen ... aber es sind so schöne Ansätze, so schöne Melodien, so schöne Instrumentierungen, da muss man Puccini helfen. Außerdem: seine Kunst ist durch eine andere hindurchgegangen, durch ein Leben gegangen, da ist nichts aufgesetzt.
Puccini selbst war ja einst ein bettelarmer Student am Mailänder Konservatorium. Sehen Sie das Stücke eigentlich auch als eine autobiographische Milieustudie?
Nein, überhaupt nicht. Der Stoff war damals ganz einfach populär und der deutlichste Ausdruck antibourgeoiser Künstlerhaltung. Der Verzicht auf materielle Werte ist hier geschildert, nicht soziales Elend.
Puccini hatte gefragt, was er mit unsterblichen Helden zu schaffen habe ...
Seine Figuren haben schon den Wunsch, Helden zu sein. Es geht um den Aufbruch der Jugend, raus aus der Familie, rein in die Keller. Diese Art von Existentialismus ist der Hintergrund bei Puccini. Die sind sehr freiwillig arm. Sie kokettieren mit ihrer Armut, um sich selbst zu spüren. Sie sind laut, sie sind verspielt, sie inszenieren sich selbst. Rodolfo kann keinen gescheiten Satz schreiben, der Musiker Schaunard kann nicht Klavier spielen – das sind die, die heute Installationen machen würden.
Und Mimi?
Ist eine ganz andere Welt. Sie weiß um das Existenzielle wirklich Bescheid. Sie ist krank, sie kennt die Liebe und den Tod. Aber Rodolfo textet sie zu, begreift sie gar nicht. Sie heißt nur Mimi und sie stickt Rosen und Lilien, mehr nicht.
Mimis Tod ist ja ganz besonders komponiert. Er kommt ganz still daher, unbemerkt von den anderen ...
... das ist die Größe dieser einfachen Frau, sie kann loslassen. Ich habe wenig Hoffnung, ob die Jungs irgendetwas begriffen haben. Rodolfo hat am Ende nur ein Polaroidfoto in der Hand, die Frau nimmt er ja gar nicht wahr.
Und Musette?
Mimi stirbt in den Armen Muset-tes, nicht Rodolfos! Musette ist längst durch den Tod gegangen. Sie hatte eine unglaubliche Leidenschaft und ihr Freund Marcello schlägt brutal zurück. Das ist doch heute noch so.
Ist „La Bohème“ ein Lehrstück übers Patriarchat?
Ja. Das kann man so sagen.
Wie italienisch ist denn Puccini eigentlich? Anlässlich einer Inszenierung von Ken Russell meinten die italienischen Kritiker, dass man so etwas damit vergleichen könnte, wenn ein Norweger oder Ugander Pizzabäcker in Neapel würden...
Das ist ja totaler Quatsch. Es gibt nichts Internationaleres als die italienische Oper ...
Herr Neuner, ich möchte noch einmal auf die Musik zurückkommen.
Die Musik ist die Sprache der Herzen und der Seele, ich meine das ganz ernst und muss das mal so sentimental sagen. Ich sage immer, die Oper ist katholisch und das Schauspiel protestantisch: Das Schauspiel entspricht dem Wort, der Verkündigung, die Oper geht in die Zwischenräume des Mystischen, des Jenseitigen... Sie behauptet in haarsträubenden dramaturgischen Fehlleistungen innere Räume von nicht erfassbarer Logik. Minutenlang sterben die Menschen auf der Bühne; wie das strukturiert wird, welche Räume es erreicht, das kann eigentlich nur die Musik. Die Widersprüche, die wir ständig ausradieren, die nennt die Musik.
Fragen: Ute Schalz-Laurenze
Die Premiere ist am Samstag, den 6. April um 19.30 Uhr im Theater am Goetheplatz. Inszenierung: Dominik Neuner, musikalische Leitung: Stefan Klingele
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen