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Allez, allez les Rouges!

Der französische Trainer Gérard Houllier führte den FC Liverpool zurück in die europäische Spitze und steht heute mit seinem Team in Leverkusen vor dem Einzug ins Halbfinale der Champions League

aus Liverpool ALEX MEWES

„Win it and we will all be speaking French!“ – „Hol den Cup und wir werden alle Französisch sprechen“, war da zu lesen auf einem Fanlaken beim Uefa-Cup-Endspiel zwischen dem FC Liverpool und CD Alavés im Dortmunder Westfalenstadion im Mai 2001. Dazu muss man wissen, dass Engländer zu Fremdsprachen ein Verhältnis pflegen wie, sagen wir, Tschechen zur Hochseefischerei. Und dies hier war Fußball! Das schöne Spiel als englisches Kulturerbe. Und der Rekordmeister als dessen natürlicher Verwalter. Französisch? Was war passiert?

Als im November 1998 Roy Evans die Trainerbank beim Liverpool Football Club räumte, war die Lage über das Ernste hinaus. Die Lage war hoffnungslos. Die letzte europäische Finalteilnahme des FC Liverpool datierte von 1985 und war zu allerletzt der Niederlage wegen eine Katastrophe. Heyselstadion Brüssel, 39 Tote, fünf Jahre Kontinentalsperre für den Seriensieger der 70er- und 80er-Jahre. Vier Jahre danach das nächste Desaster: 96 Menschen, in der Mehrzahl Liverpool-Anhänger, sterben bei einer Massenpanik während eines FA-Cup-Spieles in Hillsborough, Sheffield. Auch sportlich keine guten Jahre. 1990 gewinnt Kenny Dalglish als Trainer noch einmal die nationale Meisterschaft, dann wird es endgültig dunkel an der Anfield Road.

Inzwischen ist Zuversicht zurückgekehrt nach Liverpool. Die Reds gehen als Mitfavorit auf den Titel in die letzten Wochen der Premier League. Und die Aussichten, heute Abend beim Gastspiel in Leverkusen das Halbfinale der Champions League zu erreichen, stehen nach dem 1:0 im Hinspiel nicht schlecht. Die Auferstehung des FC Liverpool ist eng mit dem Namen eines Mannes verbunden: Gérard Houllier.

Rückblende zum Sommer 1998. Im Versuch, Tradition zu wahren und gleichzeitig zum angestammten Platz an der Sonne zurückzukehren, stellt Präsident Rick Parry dem Trainer Roy Evans einen weithin unbekannten Franzosen an die Seite. Evans, „the last of the Shankly boys“, war Ziehsohn des bis dato erfolgreichsten Clubtrainers der Welt, Bill Shankly, und wie zuvor Bob Paisley und Joe Fagan „durch all die Ränge gekommen“, wie es in England heißt. Und nun, 106 Jahre nach Clubgründung, zum ersten Mal einer von außerhalb? Gérard who? Gut, Frankreich war gerade Weltmeister geworden. Namen wie Zidane und Barthez kannte die Welt. Wer aber, bitteschön, war Gérard Houllier? Und da der Bauer nicht frisst, was er nicht kennt, empfingen die Zeitungen in England, ohnehin nicht gerade Fans des leichtlebenden Nachbarn im Süden, den Neuen entsprechend frostig: „A froggie to teach us footie?“ – Ein Frosch soll uns Fußball beibringen? Wenn es etwas gab, das für Houllier sprach, dann die Tatsache, dass er schon vor seinem Engagement in Paris eine Weile in Liverpool gearbeitet hatte. An einer Schule als Französischlehrer.

Houllier machte sich an die Arbeit. Er stürzte mit John Barnes und Paul Ince Denkmäler und verjüngte das Team mit Nachwuchs aus der neu gegründeten eigenen Akademie. Die einheimische Fraktion – im Gegensatz zu Chelsea oder Arsenal gibt es immerhin fünf englische Stammspieler – ist heute im Durchschnitt 23 Jahre alt. Neben dem Wunderjungen Michael Owen haben sich auch Steven Gerrard oder Danny Murphy einen Namen gemacht und lassen den Fans Raum für die in Liverpool so wichtige Identifikation mit ihren „local lads“. Anders als sein Freund Arsène Wenger, dessen FC Arsenal Schauspieler Alain Delon schon mal als seine französische Lieblingsmannschaft bezeichnete, setzte Houllier internationales Spitzenformat nicht unbedingt mit teuren französischen Weltmeistern gleich. Die Innenverteidigung mit dem Schweizer Henchoz und dem Finnen Hyypiä kostete zum Zeitpunkt der Verpflichtung 300.000 Mark. Ein polnischer Nationaltorhüter, dazu ein Norweger, zwei Tschechen – nicht unbedingt die großen und teuren Fußball-Nationen. Nun ja, und mit Dietmar Hamann halt auch ein Deutscher.

Wichtiger war, dass Houllier damit begann, das Trophäenkabinett zu bereichern. Im Februar 2001 der Gewinn des Ligapokals, im Mai dann eine Woche des Deliriums für die Entzugsgeplagten: Gewinn des FA Cups am Samstag, Gewinn des Uefa-Cup-Finales am Mittwoch und am letzten Premier-League-Spieltag drei Tage später das Erreichen der Champions League.

Aus den wegen ihres schönen, aber erfolglosen Fußballs genannten „Nearly boys“, den „Fast-Jungs“, hat der Franzose ein gefestigtes Team gemacht. Houlliers Rückkehr nach fünf Monaten Pause wegen des auf der Trainerbank erlittenen Herzinfarkts im letzten Oktober war Tonikum für die Mannschaft, Trauma für die Ärzte und Triumph für den Coach. Die Fantribüne feierte den Franzosen mit einem riesigen riesigen Mosaik: „Allez“. Der erste Teil des Versprechens von Dortmund ist eingelöst. Sieht so aus, als ob sie in Liverpool bald noch mehr Französischlehrer brauchen werden.

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