: Gottes Dienst an Volkes Rock
Das neue Testament der Rockmusik: Beim Auftritt von Godspeed You Black Emperor! in der Volksbühne konnte man sich endlosen Schichtungen hingeben. Selbst der Feedbackorgiensound bot reichlich Pracht und Herrlichkeit – Amen
Pop ist was für Agnostiker. Für die Zweifler. Da wird die eine Idee zur Hand genommen und gleich mit der nächsten geliebäugelt. Solch ein spielerisches Tändeln aber ist nicht die Sache von Godspeed You Black Emperor! Sie sind Rock. Gnosis. Die ganze Wucht von Glaube. Von Liebe. Vor allem Hoffnung.
Auf der Leinwand hinter der Bühne flimmerte das Wörtchen „Hope“ dem Publikum entgegen. Die Buchstaben nur flüchtig hingekritzelt. Wild tanzend. Immer wieder auch zerbrochen und doch stets neu zusammengesetzt, während auf der Bühne das kanadische Großensemble die Arbeit aufnahm, um in den nächsten Stunden an diesem Montag in der Volksbühne so ziemlich alle gängigen Grundregeln des Rockgeschäfts zu zerrupfen. Und gerade dadurch Rock zu einer Erhabenheit zu führen, die man dem Schlingel (und sich selbst) überhaupt nicht mehr zugetraut hat.
Also gut: Arschkickende Musik hört sich schon anders an. Bei Godspeed You Black Emperor! gab es auch kein Aufbegehren. Keinen Ausfallschritt und bestimmt kein beschwörendes Fäusteschütteln. Außerdem zwängt die Band, die sich 1994 gegründet hat, ihre Musik nicht in ein nett portioniertes Songformat, sondern lässt die Klangmassen über alle Ufer treten. Alles gibt es hier im Übermaß: Zwei Bassisten. Zwei Schlagzeuger. Geige. Cello. Die Gitarristen hocken auf ihren Stühlen und krümmen sich über die Instrumente. Schrubben arglose Motive, die sich dann mit einer gospelnden Inbrunst aufbäumen. Zu einem jubilierenden ekstatischen Sirren.
Es schnitt sich ins Herz. Da brauchte es dann nicht einmal den rechten Glauben, um den Kanadiern allen Respekt zu zollen, wie sie ihr fast folkloristisches Lagerfeuergeklimpere zu den mächtigen Kathedralen hochzogen. Bestens möbliert waren die mit dem ganzen Bombast und Pathos, der großen imperialen Geste auch, mit der einst Pink Floyd gen Pompeij zog. Die schwellende Pracht von Radiohead und Sigur Ros. Alles da. Und wenn man unbedingt wollte, konnte man sogar noch unschuldig hinter die Weihrauch-Schwaden auf das einigermaßen simple Prinzip dieser Musik schauen. Musik ohne große Brüche, kein Spiel von Rede und Gegenrede, schlichte Schichtungen nur. Weil ein stets intensiviertes Crescendo seine Jubelwirkung selten verfehlt. Das war nicht erst seit dem „Bolero“ so.
Natürlich ist das auch Kitsch. Aber eben von der monströsen Sorte. Mindestens im Maß der grandiosen Westernoper „Spiel mir das Lied vom Tod“, in der man gleichfalls in die endlose Weite hinauszieht, um nach den Prinzipien zu suchen, die die Welt doch wieder zusammenhalten.
Jedes der gut zwanzigminütigen Epen von Godspeed You Black Emperor! war so ein gewaltiger Schrei nach dem noch nie gesehenen glutvollsten Sonnenuntergang. Ein Verzehren nach der perfekten Welle, die doch in sich zusammenbricht. Brechen muss. Ein Wachsen und Vergehen. Schaffen und Zerstören. Immer wieder neu. Unverdrossen. Hartnäckig. Immer höher wurden die Sounds aufgeschichtet und das Erhabene gesucht. Eine musikalische Pfadfinderlosung, natürlich.
Stück für Stück wurde man damit weich geklopft, und die Musik schummelte sich in die ins Volksbühnengestühl gefläzten Körper. Ach Glaube? Gerne! Liebe? Immer. Die Hoffnung nur noch in den großen Scheinen. Alles vibrierte in diesen Frequenzen. Die Musik schlug die Körper müde und leer und machte sie gleichzeitig voll. In physischer wie psychischer Resonanz.
Nach einer ausgiebigen Feedbackorgie war dann auch dieses Konzert vorbei. Kein Wort haben die Musiker gesagt. Kurz nur winkten sie zum Abschied. Dann waren sie weg. Ein Gottesdienst? Schon. Aber so was braucht man dann und wann. Um sich zu messen. Selbst wenn man sich nur winzig gegen derlei allmächtige Größe ausmacht. Einsam vielleicht. Aber nicht allein. Glauben. Ein klammer Akt der Geborgenheit.
THOMAS MAUCH
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