herr tietz macht einen weiten einwurf
: FRITZ TIETZ über kindliche Nomenklaturen

Hacki kriegt ihn doch noch

Als Vortragsreisender, als der ich gelegentlich unterwegs bin, hatte ich neulich in Herten zu tun, eine Stadt im nördlichen Ruhrgebiet, die allerdings über keinen Bahnanschluss verfügt. So musste ich ab Bahnhof Wanne-Eickel einen Linienbus nehmen, in dem ich ziemlich kreuz und quer, wie mir schien, eine halbe Stunde lang bis nach Herten schuckelte. Ich war nie zuvor in dieser Gegend gewesen. Trotzdem waren mir die Namen vieler Orte, die ich da gemächlich durchsummte oder, wie den Hinweisschildern zu entnehmen war, nahebei passierte, auf Anhieb sehr vertraut: Herne, Bottrop, Erkenschwick, Marl, Wattenscheid und natürlich Gelsenkirchen.

Kein Wunder. Diese Namen sind mir seit meiner frühen Kindheit stabil ins Hirn gebrannt, weil die in diesen Städten beheimateten Fußballklubs zum festen Stamm seinerzeit der Regionalliga West gehörten. Und damit zu den Gegnern auch „meines“ Vereins: Arminia Bielefeld. In Bielefeld geboren und aufgewachsen, wurde ich der Arminia schon recht früh zugeführt und bin ihr wohl deshalb auch bis heute in passionierter Gefolgschaft ergeben; gegen eine so zeitig erfolgte fußballerische Sozialisation kommt man eben nicht an. Frau Hauser war’s, eine Freundin meiner Mutter, die mich ab der Saison 1965/66 regelmäßig zu den Heimspielen der Arminia mit auf die Alm nahm. Wo ich sie dann alle habe auflaufen sehen: Westfalia Herne, VfB Bottrop, SpVgg Erkenschwick, TSV Marl-Hüls, Wattenscheid 09, Eintracht Gelsenkirchen und wie sie alle hießen.

Beim ersten Fußballspiel meines Lebens ging es auf der Alm gegen die Spielfreunde Hamborn 07; noch so einer dieser legendären Ruhrgebietsvereine, wie es sie zuhauf gibt. So ich mich recht entsinne, gewann Arminia 7:0. Auch an das Ergebnis meines zweiten Spiels (gegen Alemannia Aachen) kann ich mich noch gut erinnern. 0:0 endete das, und Arminias Torwartdenkmal Triebel hielt einen Elfer.

Wir Kinder durften damals auf dem Grünstreifen sitzen. Also auf jener gut zwei Meter schmalen Rasenbahn zwischen erster Stehplatzreihe und Seitenaußenlinie. Absperrungen zwischen den schlackebefestigten Erdwällen, die als Zuschauerränge fungierten, und dem Spielfeld existierten nicht. So konnte ich nach Abpfiff immer prima auf den Platz rennen, um den Spielern auf die Schultern zu klopfen oder mir von ihnen Autogramme auf die Arminen-Fahne schreiben zu lassen, die mir irgendwann mal meine Mutter nähte. Zu kaufen gab es so was damals nämlich noch nicht.

Als Arminia Bielefeld 1970 zum ersten Mal in die Bundesliga aufrückte, ging ich längst nicht mehr mit Frau Hauser, sondern mit Freund Axel Bohle auf die mittlerweile um eine mächtige Stahlrohrtribüne erweiterte und mit einer topmodernen Flutlichtanlage ausgestattete Alm. Selbst da durfte man noch auf dem Grünstreifen sitzen, was wir auch taten, wenn es nicht gerade schiffte. Unser Stammplatz war vor Block 8, seitlich hinterm Tor. Einmal, gegen Borussia Mönchengladbach, kam der berühmte Hacki Wimmer direkt auf uns zugestratzt, wollte einen Ball noch unbedingt vor dem Toraus erreichen. Mir gellt es heute noch in den Ohren, wie ihm da Kumpel Bohle entgegenbrüllte: „Den kriegst du nie im Leben, Hacki.“ Doch Wimmer wuchtete das Ding tatsächlich noch vor das Tor, ist dann aber aus vollem Lauf in uns reingerutscht. Hat sich allerdings keiner was getan, und Wimmer entschuldigte sich bei uns Jungs. Sie haben die Szene sogar kurz in der „Sportschau“ gezeigt.

So wallte da manch selige Erinnerung an meine kindliche Fanzeit in mir hoch, als ich neulich im Linienbus durchs westfälische Fußballkernland nach Herten zockelte und all die großen Namen repetierte: Schwarz-Weiß Essen, 1. FC Mühlheim-Styrum, STV Horst-Emscher, Viktoria Köln, Hammer SpVgg, VfR Neuß, Eintracht Duisburg … Ein Klub namens SpVgg Herten soll in den Sechzigern auch mal in der Regionalliga West gespielt haben. Behauptete jedenfalls einer abends in einer Hertener Kneipe. Muss vor meiner Zeit gewesen sein. Der Verein wäre mir sonst mit Sicherheit ein Begriff.

Fotohinweis:Fritz Tietz, 43, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.