piwik no script img

Alptraum Altstudent

In Fußballlokalen trifft man auf einen besonderen Typus Zuschauer: das Arschloch

„Hast du Ahnung? Keine Ahnung hast du! Mann! Null Ahnung und Scheiße erzählen!“

„Am erhebendsten ist Fußball, wenn kollektive Träume wahr werden“, schreiben Johannes Dräxler und Harald Braun in dem honorigen Buch „Kleine Philosophie der Passionen – Fußball“ (München 1998). Am Ekel erregendsten ist Fußball, wenn individuelle Alpträume wahr werden, Alpträume, die man gar nicht geträumt hatte, sondern die einen bei wachem Bewusstsein und aus heiterem Himmel heimsuchen.

Wir verabreden uns in einer ordentlichen Frankfurter Kneipe, dem „Backstage“, zum Fußballgucken. Wir treffen uns früh genug, damit jeder einen Platz bekommt. Herr Lenz ist schon da. Er sitzt auf einer Bank. Links von ihm lässt sich Herr Fischer nieder, ich nehme den Stuhl rechts von ihm.

Das Spiel, eine unbedeutende Begegnung, beginnt in einer halben Stunde. Herr Fischer berichtet von seiner Tätigkeit in einem historischen Institut, Herr Lenz hört interessiert zu. Dann klären Herr Lenz und ich noch ein paar so genannte Arbeitsfragen. Wir tun das ohne Aufhebens, legen die Papiere zur Seite und trinken ein zweites Bier.

Das „Backstage“ ist gut gefüllt. Die freundlichen Kellnerinnen zwängen sich durch die Reihen, nehmen pausenlos Bestellungen entgegen und verteilen geschickt Speis und Trank. Die Stimmung ist nicht übel, gelassen-gespannt, der Fernseher laut genug und die Sicht auf ihn von überall hervorragend.

Der Anpfiff ertönt, in den ersten Minuten passiert wenig. Wir plaudern über Musik und Literatur. Das 0:1 fällt. Der Enddreißiger mit Kapuzenpulli und schütterem Mecki neben mir schreit auf. O weh, o weh. So was. Unglaublich. Ich hebe den Arm, gerade wischt eine Kellnerin vorbei, und sage: „Entschuldigung, bitte noch ein Weizen!“ Mecki stößt Zigarettenrauch aus. „Entschuldigung. Entschuldigung. Was soll’n das? Entschuldigung! So bestellt man kein Bier! Entschuldigung.“ – „Pardon“, erwidere ich, „man kann doch ein Bier so bestellen.“ – „Entschuldigung! So kriegst du nie ein Bier! Kannst du kein Deutsch? Entschuldigung, Mann!“

Mecki kehrt mir den Rücken zu. Herr Fischer und Herr Lenz schauen komisch. Ich halte Mecki für einen Scherzkeks. Noch. Kurz vor der Pause kommt Mecki, wahrscheinlich einer jener Bockenheimer Altstudenten, die einst „autonome Politik“ trieben, dann der Eintracht-Kirche beitraten und seither ihre spezielle Fußballdemenz kultivieren, wieder auf Touren. Er will was. Nur was? „Was willst du? Bier? Ich kann dir sagen, wie man richtig Bier bestellt“, raunzt Mecki Stammgast. „Ich krieg’ schon eins“, sage ich. „Mann, sprich Deutsch!“ So geht das weiter.

Nach der Pause verballert Bierhoff. Zieges Hereingabe war schlecht. „Die spielen immer gleich, seit Jahren dieselben Flanken“, stöhne ich, zu den Herren Lenz und Fischer gewandt. Mecki setzt ein: „Hast du Ahnung? Keine Ahnung hast du! Mann! Null Ahnung und Scheiße erzählen! Hast du jemals gegen eine Pille getreten? Nee.“ Irgend jemand muss Mecki Arschloch mal zu heftig gegen die Pille, diesen Kopf da, getreten haben, aber ich verkneife mir die Bemerkung.

Später vermutet Herr Fischer, Mecki hätte mich beziehungsweise uns für Hirnwichser und Bücherficker gehalten. Kann sein. Jedenfalls findet Mecki Arschloch keinen Punkt. Im Zehnminutentakt pestet er auf mich ein wie eine Fanblockdogge, wie ein früh vergreister Komplettsack und stinkstrunziger Kneipenwart. Schon ein grausames Schicksal, ein Frankfurter Fußballfachmann zu sein, aus dessen dummem Wirtshausleben es kein Entrinnen gibt.

Gegen Mitte der zweiten Halbzeit sage ich zu Mecki Arschloch, ich hätte ihn nicht angesprochen und würde geringen Wert auf eine Unterhaltung legen. Die Anwesenheit gesitteter Menschen verhindert, dass Mecki Arschloch durchdreht. Er dreht stattdessen eine Kippe und stiert zur Glotze hoch. Herr Lenz verlässt das Lokal, Herr Fischer schweigt, ich schweige jetzt auch.

Das Spiel endet 4:2. Herr Fischer und ich brechen auf. Draußen umweht angenehm kühle Luft meinen brummenden Schädel. Der Alptraum dieser Fussballstunden ist vorbei. „Intellektuelle Sau!“, lacht Herr Fischer. „Du hast dich nie gekloppt, oder? Schlagen statt streiten, so lautet die Devise.“

Ich sollte ernsthaft darüber nachdenken. Obwohl das „Backstage“, eine komfortables WM-Lokal, den primitiven Tumult nicht verdient hätte. Und unser Arschloch den Kraftaufwand eigentlich erst recht nicht. JÜRGEN ROTH

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen