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Dynamit um die Lenden

■ Werner Kuhrmann macht mit „Sprengstoff in Aspik“ den Pavillion des Gerhard-Marcks-Hauses zu einem Assoziationsraum. Und zwar wörtlich

Betritt man das überschaubare Nebenhaus an der Kulturmeile, steht man zunächst dem Künstler selbst gegenüber. Ein verschrägtes Modefoto, wie man es an Bushaltestellen sieht. Oder gerade dort nicht. Eine Art Anti-Starschnittmotiv. Kuhrmann steht, eine schreckliche Badehose um die Lenden, hinter einem Hallenbad-Startblock. Mit Klebeband eine Ladung Dynamit am Körper befestigt.

Der Selbstmordattentäter als Sujet? Ein Frontalangriff, vielleicht. Aber auf wen oder was? Die lebensgroße Fotografie ist das Zentrum eines tryptichonartigen Gebildes, umrahmt von einem fragmentarischen Text Kuhrmanns: „...während / die hitzigen Diskussionen / ausschließlich / im Herzen stattfanden / allein und / ungebeugt...“

Schon hier versteht man, was Kustos Arie Hartog meint, wenn er davon spricht, wie schwer sich die Bildende Kunst immer wieder tue, wenn es um die Inkorporation von Schriftlichem geht. Es gelinge Kuhrmann gerade durch die Reduktion, durch die Verwendung „offener und assoziativer Texte“, die Balance zu halten. In der Tat: Bei keinem der drei Objekte und auch nicht in der dreiteiligen Serie von Textbildern dominiert der Text das Objekt – oder umgekehrt. Geschickt vermeidet es Kuhrmann, die Worte zur Bildunterschrift, das Bild zur bloßen Illustration werden zu lassen.

In einem Schaukasten sind drei weiß lackierte, halb geknackte Nüsse zu sehen. Sie liegen auf Sand und vor ihnen liegt ein Papierschnitzel. Drauf steht: „Und ich glaubte, mit alledem nichts zu tun zu haben.“ Nebst Einordnung. Das Lachen im Fruchtwasser, da Präsident Johnson verlautbarte, man werde sich nun mehr in Vietnam engagieren.

Mit „Sprengstoff in Aspik“ markiert Kuhrmann die Ahnung von Verflechtungen in einer seit langem schon sich globalisierenden Welt. Gerade weil er auf Agit-Prop-Kitsch verzichtet, wird die Installation zum wörtlichen Denk-Raum. Versuchsweise setzt Kuhrmann Biografisches neben Weltgeschehen, Frage neben Antwort, Privates neben Künstlerisches. Wie gesagt, das Stichwort ist Balance. Aber nicht im Sinne eines ausbalancierten Lebens, also eines Lebens ohne Widersprüche und Bruchstellen. Dass bei all dem der Humor nicht auf der Strecke bleibt, ist Kuhrmann wichtig. Aber nur um das Grinsen oder gar Lachen „rechtzeitig wieder abzubrechen“.

Sein eigenes Leben kommt nicht nur vordergründig-inhaltlich vor, sondern ist auch in den Arbeitstechniken verborgen. Eine Textbildserie inszeniert nicht nur die – wiederum versuchsweise – (Wieder-)Aneignung romantischer Ideen von Hoffnung, Liebe, Sehnsucht. Drei aphoristische Texte dazu sind auf allen Tafeln zu sehen. Allerdings ist jeweils nur einer mit Farbe gedruckt, während die anderen lediglich als Furchen im Papier zu sehen sind. Der gelernte Druckvorlagenhersteller und vormalige Grafikstudent Kuhrmann hat seit je eine Vorliebe für die materiale Seite des Druckvorgangs. So unscheinbar und ruhig „Sprengstoff in Aspik“ daherkommt, an unzähligen Stellen folgt man gern der Einladung zur assoziativen Teilhabe am Kunstwerk. Folglich ist des Künstlers skeptische Frage, ob er „alles zu Ihrer Zufriedenheit hinterlassen“ habe, eindeutig zu bejahen.

Tim Schomacker

„Sprengstoff in Aspik. Leben in alle Richtungen“ von W. Kuhrmann ist bis zum 16. Juni zu sehen. dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr.

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