: Die geschminkte Stadt
aus Pjöngjang JUTTA LIETSCH
Für einen Moment wirkt Pjöngjang wie eine ganz normale Stadt im Frühling: Sachte weht der Wind durch die Weiden am Pothong-Fluss. Junge Leute lagern am Ufer und lauschen der Melodie eines Trompeters, der gegenüber gewaltigen Monumenten voranstürmender Soldaten aus Stahl und Granit steht. Schülerinnen mit Pferdeschwanz und roten Trainingsanzügen laufen vorbei. Eine Frau hat ihr Baby unter einer warmen Decke auf den Rücken gebunden.
Die Hauptstadt des unheimlichsten Staates der Welt mit ihren hohen Wohnblöcken und monströsen Revolutionsdenkmälern, über die seit Jahren die 105-stöckige Bauruine des Hotels „Stadt der Weiden“ ragt, präsentiert sich keineswegs so wie erwartet: grau, menschenleer und deprimierend, mit riesigen Boulevards, auf denen kaum ein Auto zu sehen ist.
Nein, Pjöngjang wuselt. Aus Wohnblocks, U-Bahn-Stationen und Bussen strömen unentwegt Leute. Die Frauen, die in der Metropole aus einer Laune des „Lieben Führers“ Kim Jong-Il heraus weder Fahrrad fahren noch Hosen tragen dürfen, haben flotte Frisuren. Der ärmliche Einheitslook ist verschwunden. Tausende Bürger sind unterwegs, die bunte Quasten, Stoffpuscheln und nachgemachte Fackeln aus Holz und Karton in den Händen halten. Sie stellen sich in Reihen auf, marschieren, singen und skandieren Parolen. Kaum ein freier Fleck, wo nicht irgendeine Kindergruppe Flipflop übt oder Gymnastik macht.
Sie üben für das Fest aller Feste, das heute mit der „größten Parade aller Zeiten“ zur Feier des neunzigsten Geburtstag des 1994 verstorbenen Kim Il-Sung beginnt. Der lenkt nämlich als „Präsident auf Ewigkeit“ – zusammen mit seinem meist im Verborgenen lebenden Sohn Kim Jong-Il – aus dem Jenseits die Geschicke des Landes.
„Es ist die brennende Sehnsucht der Menschen Koreas“, sagt Herr Cho vom Außenministerium, ein Mittvierziger mit strengem Lächeln, „für diesen Tag der Sonne zu trainieren.“ Chos Beruf ist es, ausländische Besucher zu begleiten und ihnen unermüdlich von der „glühenden Liebe des Volkes zum Großen Führer Kim Il-Song und zum Lieben Führer Genosse General Kim Jong-Il“ zu berichten.
Der Geburtstag ist nur erster Höhepunkt einer Reihe von Massenveranstaltungen. Ihm folgt ein riesiger Fackelzug am 26. April zur Feier des 70. Jahrestags der Gründung der Koreanischen Befreiungsarmee. Ab Ende April bis Ende Juni huldigt dann ein Festival dem großen Verstorbenen. Um für das Propagandaspektakel zu werben, lud die nordkoreanische Regierung, die sonst ausländische Journalisten scheut wie der Teufel das Weihwasser, westliche Berichterstatter zu einer Art „PR-Trip“ ein.
Denn zum ersten Mal in seiner Geschichte will Pjöngjang diePforten für den Massentourismus öffnen. 200.000 Besucher aus aller Welt sollen ein stabiles und solides Nordkorea bewundern. Ganz besonders willkommen sind die Besucher aus Japan und dem Süden Koreas – dem seit fünfzig Jahren verfeindeten Nachbarn, mit dem es bis heute keinerlei direkte Telefon-, Eisenbahn- oder Flugverbindung gibt. Wie die Südkoreaner, die zur gleichen Zeit mit der Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land beschäftigt sein werden, reisen sollen, ist allerdings unklar. Nach monatelanger Funkstille haben Vertreter beider Regierungen erst Anfang April wieder offiziell miteinander geredet.
Im „Stadion des 1. Mai“ werden insgesamt über 100.000 Akteure beschäftigt sein. Die Zuschauer sollen „wunderbare kaleidoskopische Szenen“ erleben, verkünden die Veranstalter, und „ständig wechselnde unvorstellbare Hintergrundbilder“, die wie ein Mosaik aus Farbtafeln zusammengesetzt sind – von tausenden Mitwirkenden in perfekter Harmonie bewegt. „Man muss es sehen, um es zu glauben“, schwärmen die Funktionäre.
Dafür üben die Teilnehmer, darunter Soldaten, Artisten, Tänzer, Schulkinder und Studenten, schon seit Monaten. Die Reporter dürfen nur kurz eine Massenprobe besichtigen. Dann erscheinen Regisseure und Choreografen und die Tänzerin Sin Yong-Mi, 26. Mit ihrem weißen Glockenkleid tritt sie in zwei Szenen auf und träumt davon, dass der „Große Führer Kim Jong-Il mich sieht und meine Vorstellung liebt“.
Die stark geschminkte Frau plaudert unbefangen über Beruf und Alltag. Zwei Fernseher habe sie schon als Dank für ihre Kunst von der Regierung geschenkt bekommen, sagt sie. Ja, die Zeiten seien schlecht gewesen, die Reisrationen gekürzt: „Wir hatten manchmal nicht genug. Aber nun ist alles besser.“
Fragen der Journalisten, ob sich das heruntergewirtschaftete Land solch ein Spektakel überhaupt leisten kann, bürsten die Veranstalter ab. Über die „weisen“ Entscheidungen des Führers Kim Jong-Il nachzudenken oder sie gar in Frage zu stellen, käme für sie einer Gotteslästerung gleich. Schrieb doch Kim schon 1987 in einem richtungsweisenden Aufsatz über die „Weitere Entwicklung der Massengymnastik“: Sie sei von „großer Bedeutung, um die Massen entlang der revolutionären Linie zu erziehen und zu trainieren und das Ansehen unseres Landes im Ausland zu steigern“.
Pjöngjang soll sich den Touristen in bestem Licht zu präsentieren – im Wortsinne: Vorerst vorbei scheint die düstere Zeit des Winters, als tagelange Stromausfälle die Hauptstadt in Dunkel hüllten und nur noch die riesige Bronzestatue von Kim Il-Sung angestrahlt wurde. Jetzt sind zwar die Ampeln abgeschaltet, keine Leuchtschrift und kein Schaufenster erhellt die Umgebung. Doch hier und da werfen wieder Straßenlaternen mattes Licht auf Menschen, die sich mit Taschenlampen den Weg suchen. Aus den Wohnungen dringt der schwache Schein von Glühbirnen oder Neonröhren. „Selbst der Aufzug funktioniert jetzt manchmal“, freut sich Frau Park, die beim 3. Reisebüro von Pjöngjang angestellt ist und im 20. Stock eines Apartmentgebäudes wohnt.
Heller als zuvor ist die Stadt auch, weil die Bewohner die Fassaden ganzer Wohnbezirke frisch tünchen. Allerorts bessern Bausoldaten und Arbeiterinnen Bürgersteige aus. Andere rupfen Unkraut, kratzen mit kleinen Spateln Schmutz vom Straßenbelag, bürsten Zäune und Mäuerchen sauber. Auf den Straßen verkehren ebenfalls frisch gestrichene uralte Stadtbusse und nagelneue Doppeldeckerbusse aus China, außerdem frisch blauweiß und rotweiß gestrichene Straßenbahnen, die in den Neunzigerjahren in Leipzig ausgemustert worden waren. Neben der alten – bis heute nicht bezahlten – Volvo-Flotte aus den Siebzigerjahren und einigen Mercedes-Limousinen rollen zahlreiche japanische Mittelklasseautos durch die Stadt, in denen sich Funktionäre chauffieren lassen. Manche von ihnen dürfen ins Ausland reisen. Auf dem Flughafen entladen sie dann aus der Iljuschin-68 aus Peking große Kisten mit Fernsehern, Computern, Radios und Starbucks-Kaffeepulver. In den Hotels und speziellen Devisenläden darf die Elite gegen Dollar Whiskey, Zigaretten, Kosmetik und andere Luxusgüter kaufen.
In Pjöngjang sind Hunger und Elend nicht offensichtlich. Doch da sind die Brunnen vor den Wohnblöcken, aus denen die Bewohner Wasser schöpfen, weil die Leitungen in den Häusern nicht funktionieren. In den Lebensmittelgeschäften – soweit zu sehen – herrscht bitterer Mangel: Auf den Regalen liegen fein säuberlich sortiert einige Mohrrüben, ein paar Dutzend Kartoffeln, Rettiche und Plastiktüten mit getrockneten Pilzen. Wie es auf den Bauernmärkten aussieht, ist unbekannt: Kein Ausländer darf sie bislang betreten, auch nicht die Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen, die das Land mit ihren Getreidespenden am Leben halten.
Doch Pjöngjang ist nicht typisch für das ganze Land. Das Urteil der wenigen Diplomaten und Helfer, die – wenn auch nur unter großen Einschränkungen und niemals ohne Aufpasser – die Hauptstadt verlassen können, fällt harsch aus: „Je heller Pjöngjang in den letzten Wochen geworden ist, desto dunkler wurde es im Rest des Landes.“ In den Industriegebieten stehen nach ihren Berichten die Fabriken still, rostende Maschinen werden als Schrott nach China verkauft. Es gibt nicht mal mehr Fett zum Schmieren der Motoren und auch keine Keilriemen mehr. Ein Helfer: „Sie sind wieder in der Steinzeit angelangt.“
Sieht die „weise Führung“ ein, dass ihr starres zentralistisches Wirtschaftssystem das Land immer näher an den Abgrund führt? Die Antwort der Ausländer, die sich jeden Freitagabend in der ehemaligen bulgarischen Botschaft zum Stelldichein treffen, ist deprimierend: Anzeichen von Wandel, von neuem Denken sind nicht zu erkennen. Das Regime führt Hunger und Elend auf Dürren und Überschwemmungen zurück, nach wie vor, und die Menschen scheinen ihm zu glauben. Musste die Natur nicht weinen, als der Große Führer von uns schied?, fragen sich die Nordkoreaner. Und da ist noch die Embargopolitik der „kriegstreiberischen Amerikaner“, die man laut Propaganda am liebsten von der Erde tilgen würde. Dass die US-Regierung den Großteil aller Lebensmittelspenden finanziert und die Nordkoreaner vor dem Verhungern rettet, verschweigen die Massenmedien.
Man befürchtet, dass die staatliche Reisration von 300 Gramm pro Person und Tag wieder auf 250 Gramm sinkt. Die Keksfabriken, in denen westliche Hilfsorganisationen vitamin- und mineralienreiches Gebäck herstellen, um die chronische Unterernährung von Millionen Kindern zu lindern,können manchmal nur einige Stunden arbeiten, weil sie keinen Strom bekommen.
Die Lage in den Krankenhäusern, berichten die Helfer, ist dramatisch, in vielen Landesteilen leben Kinder in schwerer Not. Doch in Pjöngjangs ebenso düsterem wie eiskaltem marmornem Jugendpalast tanzen, singen, springen und spielen die kleinen Mädchen und Jungen, als die ausländischen Delegationen mit ihren Aufpassern vorbeikommen.
Wenn der „Große Führer“ Kim Il-Sung auf der Leinwand erscheint und die kleinen Künstler ihm mit Oden und Gesängen huldigen, dann nestelt Frau Park vom 3. Reisebüro eine Toilettenrolle aus der Handtasche, um ihre Tränen zu trocknen. Wie sagt die charmante Yin Song-Ok, 32, die Besuchern das Denkmal der Koreanischen Arbeiterpartei erläutert, das an die „unsterblichen Heldentaten“ von Kim Il-Sung erinnern soll? „Manchmal erscheint es mir, nur wir könnten unser Land verstehen.“
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