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Wir glauben es

■ Arcadi Volodos spielte Sportpiano in der Glocke – in der zweiten Halbzeit musikalisch

Das Etikett „der neue Horowitz“ geht ihm voran: was für eine Hypothek für einen 29-Jährigen. Und doch ist er es selbst, der mit seinem Können diesen Vergleich mit einer Legende provoziert hat. In vernünftiger Bescheidenheit sagt Arcadi Volodos allerdings: „Einen neuen Horowitz wird es nie geben“. In einem hoffnungslos ausverkauften Konzert in der Glocke bewies der Petersburger erneut sein immenses Können, von dem die Süddeutsche Zeitung meinte: „Wer Volodos nicht gehört hat, glaubt nicht, dass es das gibt!“

Doch, wir glauben es, es hat allerdings auch viel mit Hochleistungssport zu tun. Denn in langsamen Sätzen lehnt sich Volodos zurück in den Sessel, den er sich bei den Organisatoren vorher ausgewählt hat: diesmal ein roter Bezug mit weißen Punkten.

Volodos spielte in Bremen im ersten Teil nahtlos aneinander gereihte Stücke von Alexander Skrjabin, schon hier war seine aberwitzige Fingerfertigkeit zu erleben, seine Fähigkeit, das Klavier zu „orches-trieren“ in dem Sinne, dass er alles aus dem Steinway herauszuholen scheint: atemberaubender Krach in den tiefen Lagen, klirrendes Glas in den oberen. Skrjabins Klaviermusik, die der russische Komponist selbst als religiös verstand in dem Sinne, dass sie „Ekstase als Verschmelzung des absoluten Selbst mit dem Kosmos“ sei, ist in ihrem klangschwelgerischen Mystizismus Glaubenssache. Doch lag hier das Gewicht zu stark auf der sportlichen Komponente, seine Musikalität zeigte Volodos erst im zweiten Teil des Abends.

Mit der strukturell klaren, aber auch lyrischen E-Dur-Sonate von Franz Schubert, mit den tief empfundenen Transkriptionen dreier Schubert-Lieder von Franz Liszt und der „Ungarischen Rhapsodie“, ebenfalls von Liszt (in der noch virtuoseren Bearbeitung von Volodos, die er den Versionen von Vladimir Horowitz nachgehorcht hat). Eine der vier Zugaben war die hochvirtuose Liszt-Paraphrase des „Türkischen Marsches“ von Mozart: Pianistik pur mit einem Minimum an Bewegungen – es ist durchgehend erstaunlich, wie absolut ruhig der Körper von Volodos bei den akrobatischsten Tastentänzen bleibt. Von Zeitungskritiken hält er gar nichts, also mache ich's kurz und höre jetzt auf.

Ute Schalz-Laurenze

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