piwik no script img

Wenn Holly und Bolly sich trauen

Gibt es etwas Künstlicheres als die Tradition? Das wäre eine Frage gewesen, die Mira Nair sich mit „Monsoon Wedding“ hätte stellen können. Doch ihr Film will versöhnen. Mit Farbenpracht und Tanzeinlage feiert Nair die Familie. Und nur für Momente will sie statt „Vater der Braut“ „Das Fest“ zitieren

von DIEDRICH DIEDERICHSEN

Ungehalten, aber liebenswert: Inmitten des Chaos der Hochzeitsvorbereitungen vergreift sich der Vater der Braut schon mal im Ton. Dann nennt er einen aus Australien angereisten Yuppie-Verwandten einen Trottel oder nervt den professionellen Hochzeitsmanager Dubey mit seinem traditionalistischen Geschmack bei der Auswahl der überüppigen Dekorationsstoffe. Vater zieht das traditionelle Bunt vor, der Profi wollte modern-minimalistisches Weiß vorschlagen. Das gehört sich nur auf Beerdigungen, bellt der Patriarch.

Vater ist der beste. Er kann laut werden. Er hat – natürlich im Gegensatz zu seiner Frau – kein Verständnis für seinen verspielten, faulen und den kreativen Dingen zugetanen Sohn. Am Ende wird der noch schwul, muffelt er. Er ist ungeduldig. Aber er will das Beste: die Familie zusammenhalten, die Tradition bewahren, und wenn es sein muss, wenn es wirklich wichtig ist, dann tut er auch etwas Unkonventionelles, dann zeigt er Herz. Wir kennen diesen Typen von seinen beiden direkten Vorbildern, Spencer Tracy und Steve Martin, die in gleichnamigen Hollywood-Filmen den „Vater der Braut“ gegeben haben, aber natürlich auch von unendlich vielen „Cosby“-Family-Folgen. Er hat das gewinnende und glaubhafte Gesicht der Ideologie.

„Monsoon Wedding“ ist ein Hochzeitsfilm, der die Kernidee aller Hochzeitsfilme entfaltet: Eine Tradition erneuert sich und wird so bestätigt. Gegensätze kommen zusammen. Gegensätze entpuppen sich als die zentrifugalen Kräfte der Moderne. Diese Fliehkräfte scheinen das traditionelle Institut der Ehe, der Familie, der Frauenrolle etc. bis zum Bersten zu belasten. Doch dann ist eigentlich – ohne nennenswerten Grund – alles wieder gut. Es ist doch besser so. „Monsoon Wedding“ entfaltet viele bunte Stoffe potenzieller Konflikte, flirtet ein bisschen mit ihnen. Declan Quinn schwenkt eine elegant bewegte Kamera, die mit den Schärfentiefen ebenso edel Jojo spielt, wie sie den vielen traditionellen Themen und Ritualen Indiens folgt. Doch dann lässt sie sie liegen und wendet sich etwas anderem zu.

Da gibt es also die Braut, die noch in einem vorehelichen Verhältnis mit einem verheirateten Mann engagiert ist und daher mit gemischten Gefühlen ihrer von den Eltern verabredeten Ehe entgegensieht. Dann sind da alle möglichen diasporischen Verwandten aus den USA, Europa und Australien, die sich in unterschiedlichen Graden (post-)modernisiert haben. Schließlich gibt es die unverheiratete Cousine, die noch mit 28 weiterstudieren will, und zwar Creative Writing in den USA. Aber auch dafür hat der Clan eine Lösung: Ein Onkel sichert die Finanzierung zu, andere wissen von einem unverheirateten jungen Verwandten in den USA, der das andere Problem lösen könnte. Das Hochzeitsspektakel kostet furchtbar viel Geld – aber wie vor ihm Spencer Tracy und Steve Martin zuckt auch Indiens Superstar Naseeruddin Shah nur sympathisch genervt mit den Achseln.

„Monsoon Wedding“ ist nicht der erste im Westen (oder globalen Norden) erfolgreiche Film von Nair, und daher soll er nicht nur von der Versöhnung einer vom globalen brain drain etwas diasporisch verstreuten indischen Oberschichtfamilie erzählen, sondern mit dieser Erzählung die Programmkino-kompatible, anspruchsvolle Seite der indischen Filmindustrie mit der globalen Seite versöhnen: Bolly- und Hollywood vermählen. Bolly werden die Ironiestandards und Production Values von Holly beigebracht, Hollys Routine mit Bollys authentisch ethnischer Gefühlsmacht unterspült.

Bollywood verkörpert das Paradox einer lokalen Kulturindustrie. Denn ihrem Begriff nach ebenso wie in den Diagnosen der üblichen kulturpessimistischen Anti-McDonaldisten ist die Kulturindustrie etwas, was weltumspannend Lokalkolorit eindampft. Bollywood hat aber alle Kennzeichen einer Kulturindustrie, die man sich eben auch im Plural denken muss, und ist bis zur weitgehenden Exportunfähigkeit lokal: von der voluminösen Marktbeherrschung bis zur flächendeckenden Ideologieproduktion. Zu den Hoffnungen, die man von kritischer Seite mit Filmemachern wie Mira Nair verbindet, gehört sicher die Verbreitung der auch in einigen Szenen angedeuteten postkolonialen Grundwahrheit, dass es nichts Künstlicheres gibt als die Tradition – und dass die natürlich vor allem ein Produkt des Bollywood-Kinos ist.

Da „Monsoon Wedding“ eher kein kritisches Projekt ist, wird kein Konflikt ausgetragen, auch nicht der zwischen dem absoluten Geltungsanspruch der Tradition und ihrer realen Relativität, sondern im besten Falle benannt. Die Familie, die hier mitsamt ihrer zentralen Institution gefeiert wird, wird weder – kritisch – als Zwangsregime gezeigt, das verabredete Ehen stiftet und sexuellen Missbrauch von Kindern duldet, noch erhält sie – traditionell – Recht, indem dieses Modell der indischen Familie als überlegen gegenüber moderneren gezeigt würde. Vielmehr wird sie postmodern als ein Rahmen nicht letztbegründbarer Einzelmodelle vorgestellt, die, obwohl sie sich widersprechen, zum Besten aller koexistieren können. Und sei es wegen der farbenfrohen Feste.

So bleibt alles egal. Egal sei es, ob man sich durch eine von den Eltern verabredete Ehe oder in einem Club kennen lerne, meint der Bräutigam, dem auch egal ist, dass seine Braut noch eine andere Beziehung abwickeln muss. Liebe, hat man den Eindruck, wird deswegen so besonders zuckrig zelebriert, weil jedem klar ist, dass sie nichts als Einsicht in als Tradition drapierten Pragmatismus sei. Doch obwohl er dieses „kulturelle Geheimnis“ ausplaudert, sieht „Monsoon Wedding“ keinen Grund zur Distanzierung: weder von der Ehe noch von der Bollywood-Kompensation durch „wahre Liebe“. Weil es so komplett egal ist, kann man sich auch gleich ganz doll lieben, scheint das Brautpaar einig zu sein. Daraus hätte eine interessant zugespitzte Paradoxie werden können, die den Blick auch auf andere Happyends relativiert hätte. Aber statt Zuspitzung ist das Prinzip Koexistenz – und die ist bei aller visuellen Virtuosität ein bisschen langweilig. Erst nach 90 Minuten allfälligen Andeutens, ethnoider Exotik und konfliktscheuer Parataxe kommt der lang erhoffte wirkliche Streit zum Ausbruch. Nicht nur der „Vater der Braut“ und Altmans „Wedding“ waren Vorbild, sondern für einige Minuten auch „Das Fest“.

Ria enthüllt, von genau dem liberalen Onkel, der ihr das Studium finanzieren will, dem ältesten und besten Intimus der Familie, als Kind missbraucht worden zu sein, und zwar als sie mitbekommt, dass der sich mittlerweile an dem jüngsten Mädchen vergeht. Sie fordert vom Familienoberhaupt eine Entscheidung. Der zaudert, geht eine Nacht in sich und kündigt dann dem Onkel die generationenalte Freundschaft. Vater ist der beste. Nach nicht einmal zehn Minuten ist alles wieder im Lot. Während sich die Dogma-Dänen nun filmlang zerfleischen und winden, genügt hier ein Machtwort des wahren Patriarchen. Die Familie kann weitermachen.

„Monsoon Wedding“ entwickelt immer wieder Ansätze, eine Art gesellschaftliches Panorama zu entwerfen, dessen Horizont nicht bei den Gartenmauern der Oberschichtanwesen endet. Ansätze, von Indien, speziell Delhi und dem Pandschab (auch als einem Thema für ein nicht indisches Publikum), zu sprechen und Schauplätze zu vervielfachen. Da aber die Familie zu leicht gerettet wird, bleibt dieses Panorama unausgeführt bei einer touristischen Zentralplattitüde hängen: beim Land der Gegensätze von Tradition und Moderne. Die Moderne steht dabei nicht für andere Werte, sondern für wertfreie Zonen, in denen kapitalistische Rationalität herrscht. Die Postmoderne garantiert die Koexistenz beider Zonen. Muss aber etwas entschieden werden, entscheidet die traditionelle Instanz – und zwar, wie es sich für traditionelle Instanzen gehört, mit dem Herzen.

Der einzige Akteur, der nicht zur Familie gehört, der Hochzeitsprofi, ist in den Vorbildfilmen aus Hollywood einmal ein affektiert französelnder Ausländer, das zweite Mal ein homophob gezeichneter Schwuler. Er ist auch hier ein Eigenbrödler, der nicht genau weiß, warum er eigentlich noch nicht verheiratet ist, während seine matt verzweifelte Mutter an der Börse spekuliert. Doch auch ihn erwischt die Liebe, natürlich standesgemäß zu einer blutjungen Domestikin. Der Regen geht nieder, und das vorher sanft ironisierte Bollywood-Vokabular der Liebesszene wird wieder validiert.

Das muss aber nicht allein an ein postmodernisiertes indisches Publikum gerichtet sein, sondern gefällt mindestens ebenso gut einem nördlichen Kulturmenschenvolk, das gerne wieder heiratet, gerne auch wieder in Familientraditionen macht und – so möglich – pittoreske Selbstethnisierungen zelebriert. Man sucht Solidität der Sitte und legitime Verankerung in Gebräuchen, um ein kleines Wehr in den Strom der Kulturwaren zu bauen. Bunte Bräute sind da eine hübsche Anregung. Wer Macht hat, entgeht der Gewalt der Tradition und kann es sich leisten, sie zu zitieren.

„Monsoon Wedding“. Regie: Mira Nair.Mit Naseeruddin Shah, Shefali Shetty, Lillete Dubey u. a. Indien 2001,116 Min.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen