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Friede ist möglich

■ Bassdrum-Funktionalismus und Pop-Sozialisation: Die Rheinländer Modernist und Antonelli Electr in der Flora

Dass Stefan Schwander seit neuestem mit Jörg Burger zusammenarbeitet, kann man guten Gewissens als Konzentration der Kräfte bezeichnen. Aber nicht nur. Denn vor dem Hintergrund der historisch begründeten rheinischen Rivalität zwischen Düsseldorf (Schwander alias Antonelli Electr) und Köln (Burger alias The Modernist), grenzt ihre DJ- und Booking-Zusammenarbeit unter dem Decknamen „Pop-Up“ schon fast an ein Wunder.

Denn zwischen dem artschoolmäßig nach allen Seiten hin offenen Düsseldorfer Elektronik-Ansatz und dem so strikten Poptechno-Verständnis aus Köln schienen noch bis vor kurzem Welten zu liegen. Aber: Friede ist möglich. Schwander wie Burger gehören zu den Multiplikatoren ihrer jeweiligen Szene und basteln, jeder für sich auf seine Weise, nun schon etliche Jahre an verfeinerten Soundentwürfen.

Burger gilt zusammen mit Mike Ink als Gründervater des Kölner Acid-Sounds. Seine persönliche Stunde Null ist 1988: Das Pluckern der 303-Drummachine will nimmer enden, und der neugeborene Burger marschiert fortan unter verschiedenen Projektnamen kompromisslos im Takt der geraden Bassdrum. Er sucht nach Klangfarben, die jenseits aller Vorbilder aus Detroit und Chicago um die Oberfläche herum tänzeln.

Anfang der neunziger Jahre eröffnet er außerdem mit dem Kölner Plattenladen Delirium die erste Adresse am Ort für Dancefloor-Musik. Von dort gibt er lange Jahre auch die stilbildende Zeitung Houseattack heraus, eine kryptische Mischung aus Mode- und Musikmagazin im unverwechselbaren Layout. Ab Mitte der Neunziger widmet sich Burger verstärkt Ambient und wimpy Elektronikpop und wird als einer der ersten zum elektronischen Songwriter, der im häuslichen Ohrensessel entspannt mit Zimmerlautstärke experimentiert.

Mit dem Projektnamen The Modernist und dem aktuellen eigenen Label The Popular Organization verknüpft Burger seine ganz private achtziger-Jahre-Popsozialisationsgeschichte mit den ungestümen Erfahrungen der gediegenen Party: Ekstatisches Understatement zeichnen seine, bei aller Geradlinigkeit stets hinterhältig melancholischen Tracks aus.

Mit dem Modernist-Titel „Architainment“ lässt sich die Brücke schlagen zu Stefan Schwanders Projekt Antonelli Electr (wie Electronics). Auch er führt ein Label (Italic), das, obwohl eher Minimalhouse als Techno, sowohl der Unterhaltung, als auch dem rein Funktionalen verpflichtet ist. Außerdem entwirft Schwander neben Musik auch Möbel. Beides hat im Design eine reduzierte Note. Die schnörkellosen Antonelli-Tracks beziehen ihren Reiz aus der Leichtigkeit, mit der sie inszeniert sind. Wie aus dem Ärmel geschüttelt ist dieser Sound, dabei so unerklärlich elegant wie direkt wirkend.

Live tritt Schwander übrigens mit einer selbst gebauten „Disco Machine“ auf: eine vorsintflutlich anmutende Lichtorgel, die von einem Sequenzer ferngelenkt wird. Dank der neuen „Pop-Up“-Allianz blinken diese Osram-Leuchten freundlich und friedlich, jetzt sogar von Düsseldorf bis nach Köln.

Julian Weber

mit DJs Harre & Henry (Hamburg) und Ralph H. Christoph (Köln): Sonnabend, 23 Uhr, Rote Flora

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