: „Machd eiern Drägg alleene“
aus Dresden MICHAEL BARTSCH
Fürsten der benachbarten germanischen Stämme waren gestern erschienen, Kurt dem Letzten in der Großen Halle des Volkes das Komitat zu geben: Manfred der Stolperer aus dem Restreich der Pruzzen, der wiedererstandene Bernhard der Vogler aus dem Grünland der Thüringer. Sogar Angela die Merkelin war erschienen, Retterin und Trösterin der Partei des Rechten Weges. Der Leierkastenmann spielte, schlichtes Volk drängte heran, Ihm noch einmal nahe zu sein.
Sachsenkönig Kurt sollte vor den Landständen Seine letzte Thronrede verlesen. Zwei Tage zuvor hatte Seine Allergnädigste Majestät den versammelten Hofschreibern im Hintergrunde gestanden, wie unwohl Er sich stets als „König Kurt“ gefühlt habe, wie Er dem Huldigungsdrange des Volkes aber endlich erlegen sei.
Denn dieses auserwählte Volk stand auch dann noch fest in Liebe zu seinem weisen Herrscher und der mildtätigen Landesmutter Ingrid, als der Verräter aus dem eigenen Kabinett schon heimlich den Dolch im Gewande wetzte. Als die Partei des Rechten Weges von Ihm abzufallen drohte und zum einstigen Schatzkanzler Georg dem Milbrädtigen überlief. Als Karl der Dicke von der sozialdemagogischen Partei Majestätsbeleidigung verübte. Wagte Karl es doch, Ihm Seinen Leibkoch zu neiden und Sein schlichtes Schlösschen. O welcher Undank entlud sich! Auch gegenüber Seinen betuchten Gönnern und Freunden, die dem Volke Büroburgen bauten und Manufakturen – und dafür mit manchem Taler aus dem Staatssäckel belohnt wurden.
Die Verschwörer hatten Ihn schließlich zu Fall bringen können. Doch der „Missklang“ sei inzwischen verhallt, tut Er kund. Denn der hinwegwandelnde Monarch weiß, dass Seine Legende weiterleben wird wie die des letzten August, der auch im Zorne gehen musste – und einen gewissen „Drägg“ hinterließ, den die Sachsen von nun an „alleene“ zu machen hätten (Korrespondenz am Fuße dieser Seite).
So blickt Er in Genugtuung zurück auf die ersten Jahre der Regentschaft, die goldenen. Wie Er sich schüchtern diesem „großartigen“ Land genähert hatte. Was fand Er da vor? Der Welt tüchtigste Tüftler an der Entfaltung gehindert, die weißgrünen Fahnen zerhämmert und zersichelt. Verzagt hockten sie da, konnten nicht einmal auf ihren Dialekt stolz sein und wussten nicht, an wen sie glauben sollten.
Da trat Kurt aus dem langen Schatten des Vaters am Rhein, erglühte ein zweites Mal als Lichtgestalt und hob Seine segnende Hand über das wüste Land. Das Volk rief „Hosianna“ und war selig, dass es wieder einen echten König hatte. Kurt der Große genoss den Purpur. Kein Einziger hätte zu rufen gewagt, dass Er vielleicht auch nackt darunter sein könnte.
Der gnädige Herrscher durfte dem Volke alles sagen und ein Tal der Tränen prophezeien. Wo es vielleicht gemurrt hätte wie nach den ersten vier Jahren Seiner Herrschaft, genügte die Drohung Seines Rückzuges. Er wusste auch zwei Schuldige an der Misere aufzuzeigen: die Rotkehlchen des überwundenden Interregnums vor dem Jahre 1989 – und den bösen Kaiser in Bonn, der das unternehmungslustige Herz der Sachsen knebelte.
War der Herrscher doch weise genug zu wissen, dass die Menschen sich seit Cäsars Zeiten nicht verändert hatten – und ein frommer Mythos allemal wichtiger ist als das Flickenhemd am eigenen Leibe. Freilich mag das Goldene Kalb keine fremden Götter mehr dulden, und also war das Volk immer weniger mit Opium des Königsglaubens zu trösten. Der Monarch nahm immer weniger wahr, dass Sein Reich bald nur noch in Seinem Kopf existierte.
Das führte Kurt der Letzte dem applaudierenden Hofstaat gestern noch einmal vor Augen. Gewohnt an das Dogma Seiner Unfehlbarkeit, schien niemand die Widersprüche in Seinen Worten zu bemerken. Wie man Krethi und Plethi ihrer sicheren Stellung berauben, sie gleichzeitig aber zu mehr Eigenverantwortung ermuntern sollte? Wie überhaupt die Habenden und die Nichthabenden im Lande einander brüderlich umarmen sollten? Wie schließlich in Sachsen außer der Lichtgestalt Kurt andere Leuchttürme in den Zentren gewachsen waren – während sich das flache Land entleerte?
Des scheidenden Königs Presseherold schien recht spät bemerkt zu haben, dass es am Hofe Kurts des Letzten in elfeinhalb Jahren zwar an nichts mangelte – wohl aber die Stelle des Hofnarren unbesetzt geblieben war. Das nahende Ende vor Augen, schlüpfte er selbst in diese Rolle. „Licht am Ende des Tunnels“, überschrieb er die letzte Verlautbarung vor dem Thronverzicht des Monarchen. Und das Geheime Kabinett habe sich in seiner letzten Sitzung mit Bestechlichkeit und dem Ladenschluss befasst.
Dem Andenken des Herrschenden können solche Banalitäten nicht mehr schaden. Schon mehrt sich das Begehren, den berühmten Fürstenzug im Herzen der Residenz um einige Porzellankacheln zu verlängern: für Ihn und Seine Gemahlin.
Für weitere Informationen über die sächsische Monarchie empfiehlt die taz das Buch ihres Dresdener Hofberichterstatters Michael Bartsch: „Das System Biedenkopf. Der Hofstaat Sachsen und seine braven Untertanen“, Edition Ost, Berlin 2002, 236 Seiten, 12,90 €.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen