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Hommage an eine Musikszene

■ Die in Hamburg lebende Katja Henkel hat einen Jazzroman geschrieben: In „LaVons Lied“ blickt die 35-jährige Autorin zurück auf eine Liebe der 50er Jahre

Zwei alte Frauen treffen sich Monat für Monat in einem New Yorker Café – seit 40 Jahren schon. Dabei verbindet die beiden, die zumeist schweigend beisammen sitzen, keine Freundschaft, das wird rasch deutlich in Katja Henkels neuem Roman LaVons Lied. Erst als die Frauen von einem Schneesturm zu einem verlängerten Aufenthalt im Café gezwungen werden und das Schweigen unerträglich wird, beginnen sie zögerlich, miteinander zu sprechen – und vor den Augen der LeserInnen entrollt sich das mysteriöse Band ihrer Beziehung.

Aus einer Mischung von Erinnerungen der Erzählerin an die Heydays der New Yorker Jazz-Szene in den 50er Jahren und stockenden Dialogen entfaltet Katja Henkel eine eindringliche Geschichte über eine Dreiecksbeziehung, die mit einem Mord endete und in der merkwürdigen Zweierkonstellation im Café mündet. Warum erschoss Thilda, die deutsche Jazzpianistin, den schwarzen Musiker Benjamin Banner, den Vater ihres Geliebten Vernon, der wiederum mit ihr und der Erzählerin in einer unvollkommenen ménage à trois lebte? Wieso fühlt sich die Erzählerin, heute mit Vernon verheiratet, ohne selbst jemals die Liebe zu erfahren, die dieser Thilda entgegenbrachte, sich Thilda so verbunden? Wieso unterstützt sie diese seit ihrer Entlassung aus dem Gefängnis finanziell und trifft sie 40 Jahre lang einmal monatlich?

Die Antworten auf diese Fragen enthüllt der Roman nur schrittweise, während er die Geschichte der drei ProtagonistInnen in die Geschichte einer legendären Musikszene einbettet: Die lebhaften, bunten Schilderungen der Jazzclubs und ihrer Stars wie Miles Davis, Charlie Parker, Dizzy Gillespie und vieler anderer mehr sorgen dafür, dass die Verzweiflung und Ohnmacht der fiktiven Dreiecksgeschichte nicht überhand nimmt.

Henkel mischt virtuos ihre Fiktion mit der „Realität“ und beschwört ein lebendiges Bild der Jazz-Szenerie herauf, als sei sie selbst dabei gewesen in den 50ern. Dass der Autorin dies trotz ihres Alters – sie ist Jahrgang 1967 – so gut gelingt, liegt daran, dass Henkel selbst mitten im Jazz aufwuchs: Ihr Vater leitete jahrelang einen Jazzclub und prägte damit die heute in Hamburg lebende Autorin von Kindesbeinen an. Und lange bevor sie selbst je an eine Karriere als Schriftstellerin dachte, prophezeite ihr Miles Davis, dem Henkel ebenso wie ihrem Vater den Roman gewidmet hat, dass sie eines Tages einen „Jazzroman“ schreiben würde. Viel Recherche und etliche Interviews waren dennoch nötig, um dem Thema gerecht zu werden, und rückblickend ärgert sich Henkel, die all die Jazzgrößen als Kind getroffen hat, dass sie deren Erzählungen damals nicht aufmerksamer zugehört hat. Das merkt man ihrem Roman allerdings nicht an, der wunderbar nachdenklich geraten ist – eine melancholische Hommage an eine Musikszene und ihre Helden ebenso wie eine schöne, bittersüße Liebes- und Lebensgeschichte. Karen Schulz

Katja Henkel: LaVons Lied, Wunderlich Verlag, 240 S., gebunden, 17,90 Euro

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