: Wenn reife Blumenkinder ermitteln
Ein Mord mit darwinistischer Pointe im „Tatort“ mit Eva Mattes als Kommissarin und – frisch gebackener Witwe. Denn am Ende müssen weibliche Fernsehcops genau so sein wie männliche: stark, traurig, allein („Schlaraffenland“, So., 20.15 Uhr, ARD)
von CHRISTIAN BUSS
Klara Blum hat einen Mann. Mit dem hüpft sie fröhlich um den Bodensee herum. Beide tragen luftige Sommerkleidung. Er hat einen weißen Leinenanzug an, sie ein drolliges Blümchenkleid. Das ist eine durchaus bemerkenswerte Tatsache, denn Klara Blum arbeitet bei der Mordkommission. Und da tollt man nicht ausgelassen durch die Gegend.
Fernsehkommissarinnen, das ist ein ehernes Gesetz, dürfen kein erfülltes Privatleben haben. Was sie haben dürfen, ist ein Kind aus einer gescheiterten Ehe. Oder eine tragische Affäre mit einem Verdächtigen. Oder eine etwas unausgegorene Zuneigung zum gleichen Geschlecht. Oft bleiben ihre Sozialkontakte nebulös, meist sind sie nur desaströs.
Das Leid, das den Heldinnen aufgeladen wird, hat einen tieferen Sinn: Es schärft ihr Sensorium für die Ungerechtigkeiten der Welt. Denn Fernsehkommissarinnen sind immer auch Sozialarbeiterinnen. Wie die meisten Frauen, die sich in männlich besetzten Berufen durchsetzen müssen, stehen auch sie unter einer Doppelbelastung. Kein Wunder, dass die Ermittlerinnen ständig aufgewühlt durch die Flure des Reviers rennen und am Ende eines langen Tages matt in ihre verlassene Wohnung zurückkehren. So gesehen ist Klara Blum, die munter durchs spätsommerliche Konstanz schwebt, eine Ausnahmeerscheinung. Zweimal im Jahr wird Eva Mattes zukünftig für den neu eingerichteten SWR-Tatort als reifes Blumenkind Dienst schieben. Ihre Vitalität wirkt zwar etwas kokett, doch im Team mit Michael Gwisdek, der den mit ihr verheirateten Kriminaldirektor spielt, schafft sie eine ausnehmend unbeschwerte Atmosphäre. Zumindest am Anfang. Das Ermittlerpaar raunt sich während der Untersuchungen zu einem Kindermord zärtliche Worte über den Polizeifunk zu und neigt auch sonst zu Neckereien im Dienst. Die Kompetenz des Gatten hält sich in Grenzen. Der Mann ist ein netter Trottel, der sich schon mal von einem geistig Behinderten die Waffe klauen lässt.
Trotz solcher Witze ziehen düstere Wolken auf in dem visuell durchgestalteten Provinzkrimi. Die Äpfel sind geerntet, erste Herbstböen durchziehen die letzten schönen Tage des Jahres. Bald hat sich der Himmel zugezogen. Das muss ein böses Omen sein, trotzdem ist der Zuschauer wie vor den Kopf gestoßen, als der Kriminaldirektor gegen Ende vom heimtückischen Täter aus dem Bild gemordet wird. Der schlaffe Bulle wird Opfer einer grausamen darwinistischen Pointe – und Klara Blum ist plötzlich Witwe. In Zukunft muss sie solo durch Konstanz ziehen. So fügt sich Eva Mattes mit ihrer Rolle dann doch in die Vorgaben des Genres. Am Schluss unterscheidet sie sich im Wesentlichen nicht von ihren Kolleginnen, die während der letzten Wochen für andere Anstalten ihren Dienst als „Tatort“-Polizistinnen angetreten haben. Ein guter weiblicher Cop muss offensichtlich einsam sein. So unterschiedlich die Figuren sind, die jetzt mit einer locker abgestimmten Offensive in den Serienklassiker eingeführt worden sind – es eint sie eine ostentativ herausgestellte Soziopathie. Maria Furtwängler etwa, die neuerdings in Hannover agiert, lässt als Kommissarin nur einen Mann in ihr Leben: ihren grauwangigen WG-Genossen. Als die beiden mal zusammen ein Hotelzimmer teilen müssen, stellt sie sich so genant an, als sei sie aus einem Doris-Day-Film gefallen.
Nicht ganz so schnippisch, aber ebenfalls lustfeindlich gab Andrea Sawatzki letzte Woche in Frankfurt ihren Einstand. Die hessische „Tatort“-Vertreterin wohnt noch bei ihren Eltern und bestellt in der Kneipe Selters. Immerhin blinkt hinter ihrer Zugeknöpftheit zuweilen eine Ahnung von der Tragik des Lebens auf. Die geht nun in Konstanz mit ganzer Wucht auf Klara Blum nieder. Ganz zum Schluss sitzt die Gebeutelte auf einem Polizeiboot, das still durch den Morgennebel des Bodensees surrt. Der Polizist neben ihr sagt: „Irgendwo dahinten liegt die Nacht.“ Und aus der luftigen Poesie tritt eine Kommissarin hervor, die so ist wie alle „Tatort“-Frauen zuvor: stark, traurig, allein.
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