: Werder gerät ins Schwimmen
■ Die Absteiger vom FC St. Pauli hätten Werder Bremen beinahe nass gemacht. Die Rettung brachten ausgerechnet jene Spieler, die ihren Abschied nehmen wollen
Werder Bremen hat eine schlechte Wasserfußball-Mannschaft. Eigentlich sollten die Kicker vom Weserufer Nässe gewohnt sein, wegen des berüchtigten Nordwest-Regenlochs ebenso wie wegen des Heimatflusses, der auch am Samstag mal wieder über die Ufer getreten war. Aber auf dem Rasen kamen die Werder-Spieler mit der Nässe überhaupt nicht zurecht. Direkt vor dem Spiel hatte es noch mal ordentlich gegossen und Aprilgerecht gehagelt, so dass das Wasser im Stadion stollentief stand.
Den Gästen vom FC St. Pauli macht das weiter nichts aus. Sie fühlen sich im nassen Element pudelwohl. Nicht nur ihre Anhänger, von denen 400 die Anreise mit einem Umweg über Bremerhaven nahmen – nur um von dort Weser aufwärts mit der frisch renovierten „Oceania“ direkt bis vors Stadion zu schippern und sich gemütlich an Deck nassregnen zu lassen. Bei den Spielern wirkte es sogar, als wären sie froh, dass die irregulären Bedingungen ihre technischen Unzulänglichkeiten verbargen.
Erstaunlich, dass es eine geschlagene halbe Stunde dauerte, bis Werder erstmals das Erfolgsrezept der Gäste kopierte: Fernschüsse! Aber da lag Werder schon 0:2 hinten gegen den designierten Absteiger. Gerade vier Minuten und 22 Sekunden waren gespielt, als Christian Rahn von irgendwo in der zweiten Reihe einfach mal draufhaute und ein Bremer Bein fand, von dem der Ball unglücklich ins Tor flog. „Das war doch nur Glück“, mögen die Bremer gedacht haben – und wurden zehn Minuten später eines besseren belehrt, als Thomas Meggle eine nasse Bogenlampe aus beträchtlicher Entfernung so genau in den rechten Torwinkel senkte, wie es gemeinhin nur Spielern von Bayern München gelingt, nicht aber Abstiegskandidaten. Da brandete es auf aus dem Gästeblock: „Walk on, walk on, with hope in your hearts“ – sollte St. Pauli dem Abstieg doch noch entgehen? Überhaupt hatten die 3.500 St. Paulianer stimmlich eindeutig die Oberhand im ausverkauften Stadion, was daran liegen mag, dass sich „Sánkt-Páu-lí“ einfach besser brüllen lässt als „Wérder-Wérder“. Auf dem Platz dagegen stellten die in Bremen nicht ganz so unbeliebten Hamburger das Ringen um den Sieg ein, beließen es bei ihren beiden so erfolgreichen Torschüssen. Ihr leidgeprüfter Trainer Dietmar Demuth sollte das nach dem Spiel mit den nonchalanten Worten „Zwei Schüsse, zwei Tore – das war doch 100 Prozent Auslastung“ würdigen.
Es war das Spiel der Abschiede. Bei Enrico Kern oder Roberto Silva hätte es wohl keiner gemerkt, absolviert doch ein gewöhnlicher Arbeitnehmer die Jahresarbeitszeit der beiden glücklosen Profis vor der Frühstückspause. Und der zurückhaltende Dieter Eilts hatte nach 18 Jahren seinen Wechsel in Werders Trainerstab so geschickt schleichend eingefädelt, dass dies Ende einer Ära auch fast unbemerkt von statten gegangen wäre. Aber da war ja noch Marco Bode: Nach 14 Jahren in Grün-Weiß wird er seine Fußballschuhe wohl an den Nagel hängen. Mit diesen beiden Fossilien verschwindet jene Sorte Fußball-Profi, die ihre gesamte Karriere in einem einzigen Club absolviert haben. Dagegen wirkt selbst der bodenständige Frank Rost wie ein Wandervogel, wenn er jetzt nach zehn Werder-Jahren seinen Bremer Vorgänger Oliver Reck im Tor von Schalke 04 beerbt.
Um die Wehmut komplett zu machen, wurden in der Halbzeitpause die Europapokal-Sieger von 1992 geehrt. „König“ Otto war dazu eigens aus Griechenland angereist, Wynton Rufer sogar aus Neuseeland. Unter dem Eindruck der stümperhaften ersten Halbzeit fühlte es sich an wie der endgültige Abschied von der großen Zeit des SV Werder.
Und dann natürlich noch der Abschied des FC St. Pauli aus der ersten Bundesliga. Dieser Sache nahm sich einer an, der auch schon um seinen Abschied nachgesucht hat: Torsten Frings. Als erster hatte er gemerkt, dass das Wasser war und man wieder Fußball spielen konnte. Als die Kollegen seine scharfen Flanken nicht wollten, hielt Frings fünf Minuten nach Wiederanpfiff selbst drauf – 1:2. Vier Minuten später hatte Marco Bode sich eigentlich schon standesgemäß vom Bremer Publikum verabschiedet: mit einem gefühlvollen Kopfball über den herausgelaufenen St.-Pauli-Torwart Simon Henzler. Aber Ailton, noch auf der Jagd nach der Torjäger-Krone, rutschte hinterher und stahl Bode den Abschiedstreffer auf der Linie. Auch nach diesem furiosen Zwischenspurt quälte Werder sich noch schrecklich, bis schließlich wieder Frings zum 3:2 zuschlug und Werders Chance wahrte, sich am Samstag für das internationale Geschäft zu qualifizieren – ausgerechnet bei seinem künftigen Club Borussia Dortmund, den das die Meisterschaft kosten würde. Den hilflosen St. Paulianern hätte danach nur noch eine Flutwelle helfen können, auf der der Ball von selbst ins Tor geschwommen wäre. Aber nicht mal die Tränen wollten nach dem Spiel so richtig fließen. Man gewöhnt sich eben an vieles, auch ans Absteigen.
Jan Kahlcke
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