Grenzenlos für Constanze

■ Reibungsstellen, die lohnen: Mozarts unvollendete „Missa in c-Moll“ und seine „Jupiter-Sinfonie“ in der St. Ansgarii-Kirche

Gnadenlos legte Kantor Wolfgang Mielke die bis heute nachvollziehbaren „Reibungsstellen“ von Wolfgang Amadeus Mozarts unvollendeter „Missa in c-Moll“ bloß. Formale Überraschungen großer Sperrigkeit standen in der Aufführung durch die Kantorei St. Ansgarii und der Capella Classica (Konzertmeisterin Almut Backhaus) ebenso im Raum wie herbe harmonische Reibungen und unglaublich textgezeugte Klangfarben.

Viel ist darüber gerätselt worden, warum Mozart das 1782/83 entstandene Werk nicht vollendet hat – das „Credo“ ist nicht fertig geworden und das „Agnus Die“ fehlt ganz –, obschon er, im Unterschied zum ebenso unvollendeten „Requiem“, dazu durchaus Zeit gehabt hätte. Vieles spricht dafür – und dies zeigte diese Aufführung wie auf einem Präsentierteller –, dass Mozart Grenzenlosigkeit ausprobierte und sozusagen „nicht mehr zurückkam“.

Die Aufführung, die gerade in ihrer existentiellen Heterogenität eine enorme Ausstrahlung hatte, versuchte an keiner Stelle, die extremen stilistischen Gegensätze zu glätten, Gegensätze wie das chromatische „Kyrie“ mit seinen fugenmäßigen Verschränkungen, die hochvirtuose Sopranarie „Christe Eleison“, das liedhafte „Laudamus te“ oder auch das mit starker Chromatik durchsetzte, barocke Pathos des „Gratias Agimus“, die Hosanna-Fuge eher Händel'scher Provenienz.

Da halfen mit an erster Stelle die junge Susanne Frühhaber, die ihren extrem schweren Sopranpart bis auf den Anfang überlegen und von einzigartiger Klangschönheit regelrecht zauberte. Von dieser Sängerin wird man noch hören. Überzeugend auch der zweite Sopran Ursula Fiedler mit ihrem freudigen „Laudamus te“. Der Torso c-Moll-Messe kommt dem Hörer nirgendwo entgegen. Warum es lohnt, sich darum zu bemühen, zeigen solche Aufführungen wie diese.

Das Werk ist ein Hochzeitsgeschenk an Constanze und die beiden männlichen Solo-Stimmen spielen hier nahezu keine Rolle: Immo Schroeder und Armin Kolarczyck, dessen Mozartschönheiten man in allen einschlägigen Baritonrollen im Bremer Theater genießen durfte und darf.

Auch in der eingangs gespielten „Jupiter-Sinfonie“ konnte man auf die immanente Brillanz namhafter-er Orchester vollends verzichten, so fundiert und deutlich erklangen die Formen, Figuren und Affekte dieses rätselhaft-hybriden Werkes, das im letzten Satz die Form der Fuge und des Sonatenhauptsatzes miteinander verbindet. Sprudelnde Tempi – besonders der letzte war an der Grenze des Machbaren – nervige und angespannte Durchsichtigkeit, poetische Klangschönheit, die ihr Vorbild Nicolaus Harnoncourt weder verleugnen will noch braucht.

Das ausverkaufte Konzert bildete einen wunderbar erneuten Nachweis, wie aufregend historische Musik sein kann, und umso wunderbarer, dass dies jenseits von Musikfest und eingekauften Meister- oder Sonstwas-Konzerten stattfindet.

Ute Schalz-Laurenze