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jenni zylka über Sex & Lügen Ich will Glocken läuten hören

Zum Tode von Lina Lovelace: PorYes oder PorNo? Die Antwort bleibt irgendwo dort draußen

Angefangen hat der Humbug zu jener wechselwarmen Zeit, als Songs in „Hair“-ähnlichen Sex-Musicals „Let my people come“ hießen. Als angeblich komplett zugeständnisfrei geliebt und gevögelt wurde, Männlein wie Weiblein, bloß nicht zweimal mit dem-/derselben. Die am letzten Dienstag nach einem Autounfall verstorbene Linda Lovelace spielte 1972, mit 23, die Frau, die „Glocken läuten, Dämme brechen, Bomben explodieren“ spüren will, aber stattdessen nur „a lot of little tingles“ fühlt. Was ihr nicht reicht und daran liegt, dass ihre Klitoris nicht sitzt, wo sie hingehört, sondern in „Deep Throat“, tief in ihrem Rachen.

Eigentlich ist die Ausgangsidee also fein, schließlich ist es sehr Women’s Lib und löblich, dass man der Frau helfen will, zu kommen. Die Konstellation der beiden frei liebenden, allein stehenden Frauen, die beim Cunnilingus nonchalant zu ihrem gesichtslosen Lover sagen: „Mind if I smoke while you’re eating?“, macht eine vermutlich im Pornobereich selten so klar formulierte Aussage zur sexuellen Gleichberechtigung: Hier geht’s um selbstbewusste Genießerinnen, nicht um Fickmäuschen. Aber Deep Throat ist, wie 99 Prozent aller Pornos davor und danach, ein Film von Männern für Männer, und die Idee, dass das anatomische Wunder Lovelace nur durch Fellatio die Glocken läuten hört, dermaßen eingleisig auf die männliche Sexualität ausgerichtet, wie es stärker nicht geht: Lovelace muss blasen, um sexuelle Erfüllung zu finden. So ein Glück aber auch für die fellatiofixierten Kerle dieser Welt.

Dennoch: Das alles, der schwingende Anfang-Siebziger-Charme samt Koteletten, Minikleidern und knorken Autotypen, die Neuheit des Pornos als Mainstream, der popmusicalartige Soundtrack, bei dem eine Art Les Humphries Singers zu Bubbel-Musik „Relax your muscles, we found yor tinkler“ summen, war trotz des bekannten männlichen Blicks irgendwie rührend, irgendwie harmlos. Acht Jahre lang. Dann kippte es um, wurde von der Pornoindustrie-Realität eingeholt und komplett vergiftet. 1980 schrieb Lovelace in „Ordeal“, ihrer dritten Biografie, genau das Gegenteil von ihren ersten beiden, „The intimate Diary of Linda Lovelace“ und „Inside Linda Lovelace“: Sie habe nicht aus Lust und Leidenschaft bei „Deep Throat“ und den Folgefilmen mitgemacht, sondern man habe sie brutal gezwungen, „mit einer Pistole bedroht, unter Drogen gesetzt und hypnotisiert“. Sie habe außerdem von den 600 Millionen Dollar, die der Film mindestens eingespielt hat, keinen Cent gesehen.

Bedeutet das nun, dass einer der wenigen Pornos, der die weibliche Sexualität gleichzeitig anatomisch ignorierte und formal liberalisierte, in Wirklichkeit eine sechzigminütige Vergewaltigung darstellt? Dass man, wenn es bei Pornos mit freiwilligen DarstellerInnen ja schon schwer erscheinen mag, das Wissen über die weitgehend lustfreie, hoffentlich immerhin professionelle Produktion auszublenden, „Deep Throat“ eigentlich gar nicht mehr gucken kann, es sei denn, man ist Sadist?

Die Antwort ist irgendwo da draußen. Wenn jemand, wie seit 1996 immer wieder gerüchteweise aufkommt, das Leben der Linda Lovelace, geborene Boreman, geschiedene Marchiano, Polizistentochter aus der Bronx, Mutter zweier Kinder, Großmutter, ehemalige Pornodarstellerin, Silikonimplantatträgerin, leberkrank, jahrelange Sozialhilfeempfängerin, nach eigenen Angaben Alkoholikerin, Exeinkäuferin für eine Computerfirma, verfilmen wollte, wäre das gewiss ein trauriger Film. Einer, der von „People vs. Larry Flint“ oder „Boogie Nights“ meilenweit entfernt wäre. Es müsste ein Film werden, der so zwiespältig ist wie Lovelace selbst: Sie war gleichzeitig Beispiel für Geschlechterkrieg und weibliche Befreiung, für Kapitalismus und sexuelle Revolution. Und damit eine der wenigen Ikonen, die zwei absolute Gegenpole in der schmalen Brust vereint: Sexismus und Antisexismus.

Fragen zu Sex & Lügen?kolumne@taz.de

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