: Machtkampf um die leeren Meere
Nordländer werfen der EU-Kommission vor, in der Fischereipolitik die nötigen Reformen zu verschleppen. Der Süden der EU wehrt sich gegen die Maßnahmen: Weil die Ozeane leer sind, sollen kleinere Flotten in Zukunft weniger Fische fangen
aus Kopenhagen REINHARD WOLFF
Der Streit über eine neue Fischereipolitik der EU hat sich zu einem Machtkampf zwischen Nord- und Südeuropa entwickelt. Unter Führung von Dänemark, das am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, hat eine „Nordallianz“, zu der neben Dänemark noch Deutschland, Schweden, Großbritannien und die Niederlande gehören, EU-Kommissar Franz Fischler nach Informationen der Kopenhagener Tageszeitung Politiken eine Art Ultimatum gestellt. Lege dieser nicht am 28. Mai in Brüssel seinen ursprünglichen Plan zum Schutz der Fischbestände in unverwässerter Form auf den Tisch, stelle sich die Frage nach seiner Unabhängigkeit – und nach einem möglichen Abgang. „Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Kommission sind legal“, so bestätigt Dänemarks Landwirtschaftsministerin Mariann Fischer Boel selbst den Vorstoß: „Aber wenn der Druck von außen kommt, ist das nicht mehr akzeptabel.“
Mit „außen“ ist vor allem das gegenwärtige EU-Präsidentschaftsland Spanien gemeint. Dieses wird von der „Nordallianz“ verdächtigt, einen Reformvorschlag so lange zu verzögern, dass die reformwilligen Dänen ihn nicht mehr verabschieden könnten. Und nach Dänemark wäre mit Griechenland ein weiterer „Fisherman’s friend“ an der Reihe, um die Neuordnung noch länger auf die lange Bank zu schieben. Auch Deutschlands Ministerin Renate Künast beschuldigte die Kommission in einem Brief der Bummelei: „Ich muss Ihnen sagen, dass ich die erneute Verzögerung nicht akzeptieren kann.“ Eine Verschleppung der Fischereireform über 2003 hinaus „muss nach meiner Auffassung unter allen Umständen verhindert werden“.
Adressat ist zwar Kommissar Fischler. Der hatte zuletzt am Montag den EU-AgrarministerInnen im südspanischen Murcia zugesagt, er werde von seinen Vorschlägen „in der Substanz nicht einen Millimeter abrücken“, sondern diese mit zusätzlichen Daten am 28. Mai präsentieren. Der eigentliche Unmut aber gilt Kommissionspräsident Romano Prodi, der offen beschuldigt wird, sich zu sehr von den Sonderinteressen der Mittelmeerländer leiten zu lassen. In einem Brief an ihn beklagt sich der dänische sozialdemokratische Europaabgeordnete Torben Lund, dass „eine Mehrheit der Kommission die Unglaubwürdigkeit, den Machtmissbrauch und den Mangel an Integrität weiterführt, welche auch deren Vorgängerin kennzeichnete“.
Obwohl auch die EU-Kommission davon ausgeht, dass der Fischbestand in den EU-Gewässern im Laufe der letzten drei Jahrzehnte auf ein Zehntel abgefischt wurde, tut sie sich schwer, den Nationen mit großen Fischfangflotten wehzutun. Neben Abwrackprämien leistet sich die EU deshalb nach wie vor den unsinnigen Luxus Modernisierungen der Fischereiflotten zu subventionieren – die Hälfte dieser Zahlungen geht nach Spanien. Fischler und die Nordländer wollen die Flotte um 40 Prozent reduzieren, Fischer umschulen, die Quoten senken und schärfer überwachen und die Fanggebiete begrenzen. Doch bisher fanden die Fischerfreunde mit ihren Anliegen bei der Kommission leichter Gehör als die Freunde der Fische.
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