Die Lachsfrage

Selbst in irischen und schottischen Gewässern wird der König der Fische in Käfigen gehalten und mit Proteinmehl und Antibiotika gefüttert. Doch es gibt auch noch echte Lachsfischer. Ein Besuch

von RALF SOTSCHECK

Wenn er Englisch spricht, merkt man, dass es für Peadar O’Conghaile eine Fremdsprache ist. „Zu Hause wurde nie Englisch gesprochen“, sagt er, „nur Irisch.“ Der 52-Jährige lebt auf Inisheer, der kleinsten der drei Araninseln vor Irlands Westküste. Auf Irisch heißt sie „Inis Oirr“, was so viel heißt wie „die östliche Insel“. Jeder auf der Insel kennt Peadar. Der Mann mit den buschigen Augenbrauen und riesigen Koteletten fällt schon von weitem auf.

Peadar lebt vom Fischfang. Schon sein Vater und sein Großvater waren Fischer. Aber irgendwann ist sein Vater nicht mehr aufs Meer gefahren, sondern hat neben der Pier eine Kneipe eröffnet. „Tigh Ned“ heißt der Pub. Er wird jetzt von Peadars Bruder geführt. Peadar lebt mit seiner Frau Mary und den drei Kindern nebenan in einem Bungalow. Vor der Tür stehen die Gummistiefel, auf der Leine hinter dem Haus trocknet das gelbe Ölzeug, die Berufskleidung der Fischer. Beim Netzeausbringen im „Currach“ wird man schnell patschnass.

Currachs sind kleine Boote, die mit Fell bespannt und mit Teer wasserdicht gemacht werden. Früher sind die Fischer damit mühsam aufs Meer hinausgerudert, heute gibt es Außenborder. Kürzlich musste Peadar seine Maschine allerdings ausbauen. Das japanische Fernsehen hat einen Film über ihn gedreht. Weil der Regisseur seinen Zuschauern weismachen wollte, dass es vor der irischen Westküste heute noch genau so zugeht wie vor hundert Jahren, hatte der moderne Motor gestört. Peadar war gutmütig genug, den Unsinn mitzuspielen.

Wenn er in die Bucht hinausfährt, taucht meist ein Delfin auf, ein guter Bekannter des Fischers. Das Tier hat sich vor Jahren von seiner Herde getrennt und Inisheer zu seinem festen Wohnsitz erklärt. Manchmal wirft Peadar ihm eine Makrele zu. Wenn er auf Lachsfang geht, benutzt Peadar ein Treibnetz, in dem sich oft Makrelen verfangen. Die Lachssaison ist kurz, sie dauert nur von Juni bis Juli, und die Fischer dürfen nur an vier Tagen in der Woche ihre Netze auslegen. Der Fang wird bei der staatlichen Fischereiagentur abgeliefert. „Die regelt den Verkauf“, sagt er, „aber sie zahlen schlecht“. Eigentlich hätten die gar kein Interesse an Wildlachs.

Peadar bekommt 6,30 irische Pfund für das Kilo, genau so viel wie für Farmlachs, obwohl der Preisunterschied in den Läden zwischen wilden und in Käfigen aufgezogenen Tieren enorm ist. „Schon vor zwanzig Jahren habe ich sechs Pfund bekommen“, sagt er. „In welchem anderen Beruf hat sich das Einkommen in zwei Jahrzehnten um nur fünf Prozent erhöht?“

Wenn die Lachssaison vorbei ist, geht Peadar auf Hummer und Makrelen. Von November bis März lohnt auch das nicht. Dann baut er neue Hummertöpfe und repariert die Treibnetze. Ob er im nächsten Jahr überhaupt noch Lachse fangen darf, weiß er nicht, denn die Fischer konkurrieren mit den Touristen. „Die Flussbesitzer wollen unsere Treibnetze verbieten“, sagt er.

Der Wildlachs ist weltweit gefährdet. In Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden, in Belgien, Tschechien, Frankreich, Spanien und Portugal und in der Slowakei gibt es entweder nur noch sehr geringe Bestände oder der Lachs ist bereits ganz ausgestorben.

Neunzig Prozent aller Lachse weltweit leben in irischen, schottischen, norwegischen und isländischen Gewässern. „Die Britischen Inseln, Heimat des größten Teils des atlantischen Wildlachses, haben eine große Verantwortung, den König der Fische zu schützen“, sagte Elizabeth Leighton vom „World Wide Fund for Nature“. Doch auch dort sind sie bedroht. In Irland ist ein Viertel der 339 Lachsflüsse in akuter Gefahr. In Schottland führen nur noch sechzig Prozent der Flüsse den begehrten Edelfisch, schätzen Naturschützer.

Die schottischen Behörden weigern sich allerdings hartnäckig, die Namen der Flüsse zu nennen, in denen der Lachs verschwunden ist. Die Landbesitzer könnten dann von den vielen Touristen nicht mehr ihre horrenden Summen für Angelscheine verlangen. Sie lassen die Angler gern in dem Glauben, sie hätten an einem prächtigen Fang nur ganz knapp vorbeigefischt.

Peadar hat in seinem Terrain bisher keinen Rückgang bemerkt. „Der Fang war so gut wie in jedem anderen Jahr“, sagt er. „Ich bin zufrieden, wenn ich zwanzig Stück am Tag raushole.“ Die Lachse bringt er in seinem Currach aufs Festland zur Räucherei in Lisdoonvarna, weil die Fährgesellschaft sie nicht mitnimmt. Peadar und seine Familie dürfen nicht mehr auf die Fähre, weil sie sich mit der Reederfamilie zerstritten haben.

„Die O’Briens wollen in Doolin eine private Pier bauen, die nur sie benutzen dürfen“, sagt er. „Ich und ein paar andere sind dagegen, wir wollen eine öffentliche Pier. Was nützt eine private Anlegestelle, wenn niemand anders sie benutzen darf?“ Seitdem er das auf einer Versammlung laut gesagt hat, nehmen ihn die O’Briens nicht mehr mit.

Auf Inisheer lebten vor dreißig, vierzig Jahren ausschließlich Fischer. „Jetzt gibt es kaum noch jemand, der rausfährt, schon gar keine jungen Leute“, sagt Peadar. „Die meisten ziehen weg, weil es keine Jobs gibt.“ Dass durch die großen Lachsfarmen neue Arbeitsplätze geschaffen werden, lässt er nicht gelten. Zuchtlachs würde Peadar niemals anrühren. „Die geben den Fischen das gleiche Zeug, das bei Kühen den Rinderwahn ausgelöst hat.“ Und auch die Werbung sei der reine Beschiss. Wenn auf den Päckchen „echter Atlantiklachs“ stehe, glauben die meisten, es handle sich um Wildlachs. In Wahrheit sei es aber Zuchtlachs, dessen Käfig lediglich im Atlantikwasser steht. „Viele Leute wissen gar nicht mehr, wie Wildlachs überhaupt schmeckt“, ärgert sich Peadar, außerdem würden die Lachsfarmen die Umwelt verseuchen. „Die wenigen Jobs zählen da nicht.“

Inisheer und andere abgelegene Gegenden können langfristig wohl nur mit Hilfe des Tourismus überleben. Aber die Saison dauert in Irland nur zwei Monate. Ein attraktives Angebot für die Hobbyangler könnte die Saison verlängern. Doch Peadar findet, dass der Wildlachs für alle erhalten werden sollte, nicht nur für die Touristen. „Den Flussbesitzern passt es gut in den Kram, dass die Lachse in vielen Gegenden selten geworden sind“, sagt er. Deshalb würden sie mit ihren eigenen Beständen prahlen und mehr Geld für Angellizenzen verlangen. „Wir Fischer haben keine Lobby, weil wir nicht organisiert sind. Hobbyangler und Touristen auf der einen Seite, wir Treibnetzfischer auf der anderen.“ Peadar unterbricht einen Augenblick und fügt dann hinzu: „Das ist auch eine Klassenfrage.“

RALF SOTSCHECK, 47, ist taz-Korrespondent und lebt in Dublin